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Testbericht

Wolfgang Gomoll, 17. November 2016
Wer glaubt, dass der Verkehr in Berlin oder München übel sei, der sollte sich mal in Bangalore in ein Auto setzen. Nach dieser grenzwertigen Erfahrung sind jede deutsche rote Ampel und überfüllte Kreuzung eine Erholung.

Der ist doch Wahn.....! Der Schrecken raubt dem letzten Wort die Buchstaben und dem Sprecher den Atem. Ein offenbar lebensmüder Autofahrer schießt in einem weißen Toyota Etios und Rücksicht auf Verluste über eine Kreuzung. Dass der Harakiri-Stunt ohne gröberen Blech- und menschlichen Kollateralschaden über die Bühne geht, ist nur ganzen Heerscharen von indischen Schutzengeln und den starken Bremsen des Mercedes GLC zu verdanken. Damit noch nicht genug, zwischen den Fahrzeugen trotten auch noch Kühe, völlig tiefenentspannt und souverän. Die sind den Indern heilig und scheinen das zu wissen. Das Chaos widerspricht allem, was der Mitteleuropäer als Verkehrsregeln kennt. Dazu kommt noch der Linksverkehr. Schließlich war Indien englische Kolonie. Dass Fahrspuren lediglich als Angebot wahrgenommen werden, verwundert nur wenig, aber konsequente ignorieren roter Ampeln, treibt dem ordnungsliebenden Teutonen den Angstschweiß auf die Stirn. "In Bangalore gibt es nur sechs Blitzer-Ampeln, die kennt natürlich jeder", erklärt unser indischer Begleiter Shiva.

Radarfallen und Verkehrs-Polizei? Fast Fehlanzeige. Und wenn, werden die Ordnungshüter einfach überholt. Egal ob Tempolimit oder nicht, Streifenwagen werden einfach überholt. "Auf mautpflichtigen Privatstraßen geht es etwas schneller", schmunzelt Shiva. Was passiert im Falle des Falles? Ein Strafzettel kostet 300 Rupien, das sind umgerechnet fünf bis sechs Euro. Ein Klacks. Aber bevor sich alle Cannonball-Racer zum Subkontinent aufmachen, sei gesagt, dass beim dritten Verstoß der Lappen weg ist und die Straßen von Schlaglöchern übersät sind. Dazu kommt noch der Dauerstau - wir haben für knapp 20 Kilometer gut zweieinhalb Stunden gebraucht.

Geht es einmal voran regiert der reine Verkehrs-Darwinismus: Wer bremst, verliert. Sobald sich eine kleine Lücke im Gewusel offenbart, muss man ohne Rücksicht auf Verluste hineinschießen, sonst hat man verloren und kommt nie ans Ziel. Schreckhafte Zeitgenossen sollten ohnehin zu Hause bleiben. Hupen gehört hier zum guten Ton und von dem wird ausgiebig Gebrauch gemacht. Deswegen verbauen manche Hersteller in den indischen Modellen besonders standfeste Exemplare. Die lärmende Sonate aus unzähligen Hörnern schallt ständig durch die überfüllten Straßen und malträtiert die Gehörgänge aus allen Richtungen. Bald ist die Überlebenstaktik klar: Nicht darum kümmern und draufhalten, auch wenn man in einem nagelneuen GLC sitzt, der in Bangalore montiert wird.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass bei diesem Chaos relativ wenig Unfälle passieren. Doch wie so oft, beherrschen auch hier die Protagonisten die Anarchie. Jeder passt auf den anderen auf. Zudem fließt der Verkehr ziemlich langsam. Nach gut zehn Minuten hat man sich an den Trubel gewohnt und knallt genauso mit rein, wie alle anderen. Dass sich die Kollateralschäden in Grenzen halten, beweisen auch die vielen unversehrten Vehikel. Da sind in Paris mehr verbeulte Karossen unterwegs.

Der Durst nach individueller Mobilität ist groß, pro Jahr werden 14 Millionen Motorräder und etwa vier Millionen Autos verkauft. Dagegen nehmen sich die 15.000 Mercedes fast verschwindend gering aus. Doch die Fahrzeuge mit dem Stern kennt in Indien jeder "Es ist das Fahrzeug der Staatsoberhäupter und der Wohlhabenden", weiß der Mercedes-Indienchef Roland Folger. Die Big Player sind Maruti-Suzuki, Hyundai und natürlich Autobauer, wie Toyota oder Tata. Jeder, der 18 Jahre alt ist, darf den Führerschein machen. Da werden die Fahrschüler gleich ins kalte Wasser geschmissen: Erst gibt es die Fahrerlaubnis 40 Tage auf Probe, danach gibt eine Fahrprüfung mit Theorie und Praxis. Um die Verkehrsregeln bringt man sich übrigens selbst bei oder besucht, wie bei uns, den Unterricht in der Fahrschule. Das Standesbewusstsein ist hoch: Da kein Sohn ein höherwertiges Fahrzeug als der Vater fahren sollte, legen die Kinder oft zusammen, um dem Patriarchen ein angemessenes Vehikel zu kaufen, nur um dann selbst zuschlagen zu können. Die Zeremonie beim Autokauf ist pompös. Bei der Übergabe bekommt das Fahrzeug Blumen auf die Karosserie und der Fahrer einen Schal. Obendrauf gibt es noch eine Genesha-Statue, der zweitälteste Sohn Shivas (eine der drei indischen Haupt-Gottheiten) ist für die Hindhus so etwas wie hierzulande die Christopherus-Plakete.

Der Bienenstock aus Blech ist ziemlich heterogen, Neben knatternden TukTuks, wieseln Motorroller durch die Gegend, dazwischen Autos, Busse und Lkws, die so viel Ruß in die Luft pusten, dass kurzzeitig sogar die Sicht behindert ist. Da würde jedem europäischen Öko-Aktivisten das Herz aufgehen. Auch Elektromobile sind in dieser Blechlawine zu sehen. Ansonsten beherrschen Toyota Etios, andere Stufenheck-Limousinen und SUVs die Szene. Die Zeit der Hindustan Ambassador-Limousinen, die jahrelang das Straßenbild beherrscht haben, neigt sich dem Ende zu. Kleine Crossover, wie der Renault Kwid sind groß im Kommen. Kein Wunder bei den traditionell schlechten Straßen. Untermalt von akustischen Perpetuem Mobile des immerwährenden vielkehligen Hup-Konzerts. Die sind übrigens kein Platz-da-jetzt-komme-ich-Signal, sondern reine Warnung, da der indische Autofahrer nur nach vorne blickt. Übrigens blendet man das Hup-Gejohle irgendwann aus. Für Shiva, der sich als Chauffeur jeden Tag ins Getümmel stürzt, ist die Sache klar: "Nur Amateure hupen, echte Profis haben das nicht nötig!" Na dann...
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-11-17

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