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Testbericht

Stefan Grundhoff, 4. November 2010
Gemeinhin gilt der Mercedes 300 SL als eine automobile Schönheit ohne gleichen. Die einen verzückt der filigrane Flügeltürer – andere lassen sich vom offenen Zweisitzer verzaubern. Doch ein 300 SL kann auch anders – als Rallye-Roadster W 198.

Nicht nur Heidi Klum weiß: ein echtes Topmodel sieht anders aus. Die meisten Mercedes 300 SL erstrahlen in hellem silber, schwarz oder weiß. Kostenpunkt für echte Sammler: mehr als eine Million Euro. Doch ein tiefes dunkelbraun gibt es auf diesem Fahrzeug weltweit nur ein einziges Mal. „Der Wagen war ursprünglich dunkelblau und wurde irgendwann einmal in braun umlackiert“, erzählt Mike Kunz, Chef des Mercedes-Classic-Centers in Irvine / Kalifornien, „aber was soll’s. Er hat technisch einen Topzustand, deshalb lassen wir ihn so.“ Dieser schokobraune 300 SL Roadster ist ein Lustbringer, aber kein Shoeshine-Car, wie die Amerikaner sagen. Kein Auto für eine historische Ausstellung oder gar einen elitären Concorso. Dieser 300er will gefahren, wahrscheinlich sogar getreten werden. Auf zahlreichen Oldtimer-Rallyes hat er in den letzten Jahren weltweit sein Können gezeigt; hat die anspruchsvolle Ennstal Classic in den Bergen der Steiermark ebenso souverän hinter sich gebracht wie die Rundfahrt Adelaide-Classic in Australien oder den Hochgeschwindigkeits-Event Colorado Grand in den Rocky Mountains. „Dieser Roadster ist nahezu unverwüstlich“, lacht Mercedes-Techniker Nate Lander, „man muss den Motor nur langsam warm fahren. Das ist das ganze Geheimnis.“ Er kennt den offenen Spaßmacher aus dem Jahre 1962 mittlerweile wie seinen eigenen Bettkasten.

Bei zurückhaltender Fahrt dauert es jedoch schon einmal eine gute halbe Stunde bis der träge Trockensumpf des Sechszylinders endlich in Stimmung gekommen ist. Dann kann das Triebwerk gedreht werden, was das Zeug hält. Normalerweise leistet der Reihensechszylinder mit seinen drei Litern Hubraum 158 KW / 215 PS. „Diese Rallyeversion hat einen doppelten Edelstahlauspuff mit einem glatten Durchstoß. Das macht sich schon bemerkbar. 10 bis 15 PS Mehrleistung sind es wahrscheinlich. Gemessen haben wir aber noch nie“, ergänzt Nate Lander mit einem verschmitzten Lächeln. Doch mehr als das pure Plus an Leistung macht sich die bessere Fahrbarkeit des historischen Boliden bemerkbar. Gerade im höheren und hohen Drehzahlbereich scheint der 300er deutlich freier zu atmen und seinen Enthusiasmus nahezu ungefiltert nach außen stoßen zu lassen. So sind – zumindest nach dem alten Rundtacho - über 240 km/h mit dem braunen Zweisitzer kein Problem. Vorteil: bei hohen Geschwindigkeiten macht sich die große Motorabwärme im Fußraum nicht derart unangenehm bemerkbar.

Bevor man sich mit derartig hohen Oldtimer-Geschwindigkeiten beschäftigt, sollten sich die Insassen mit dem vergleichsweise überschaubaren Sicherheitskonzept des Mercedes 300 SL Roadster auseinandergesetzt haben. Gerade die offene Version bietet noch weniger Reserven als der Flügeltüren mit seinem festen Dach und der steiferen Karosse. Die beiden Rennschalensitze sind ausreichend bequem und sorgen zusammen mit den nachträglich montierten Vierpunktgurten für das nötigste – zumindest nach heutigen Maßstäben. Zusätzlich wurde der 1962er 300 SL Rallye Roadster für die engagierten Renneinsätze mit zwei alles andere als schmuckvollen Überrollbügeln versehen. Die sind ebenso wie die mächtigen Zusatzscheinwerfer eine optische Beleidigung für die ansonsten fein gestylte Karosse; sorgen jedoch bei einem etwaigen Überschlag für den dringend benötigten Überlebensraum. Weil der Rahmen der SL-Windschutzscheibe in den 50er Jahren für einen etwaigen Überschlag nicht derart versteift war wie heute, sind die beiden Überrollbögen zudem noch höher als die Windschutzscheibe selbst.

Hässlicher geht es nicht und in Verbindung mit der dunkelbraunen Schokolackierung gibt es wohl keinen unschöneren 300er auf der Welt. Zudem hat der Lack des Rallye-Probanden hier und da stumpfe Stellen und ein paar Macken. Stört aber keinen ernsthaft. Doch es dürfte kaum einen offenen 300 SL geben, der einen derart in seinen Bann zieht. Denn Fahrwerk, Lenkung und Motor sind auf dem neuesten Stand – der Fahrspaß ist durch das perfekte Triebwerk und das neutrale Fahrverhalten schlicht grandios. Einzig die schmalen 185er Pneus bringen bei höheren Tempi Unruhe in den Wagen. „Doch die sind nun einmal original. Darauf wurden Fahrzeug und Fahrwerk seinerzeit bei der Entwicklung abgestimmt“, ermahnt Mercedes-Experte Mike Kunz zu größtmöglicher Originalität, „gerade unter den US-Sammlern gibt es einige, die auf die breiteren 205-Reifen umgestiegen sind. Dem Auto tut das weder technisch noch optisch gut.“

Hat man erst einmal hinter dem großen Bakelit-Steuer Platz genommen und der Reihensechszylinder mit einem donnernden Dröhnen seine Arbeit aufgenommen, gibt es sowieso kein Halten mehr. Man verfällt dem braunen Ungeheuer nach wenigen Metern. Der Dreiliter-Sechszylinder mit seinen 275 Nm maximalem Drehmoment brüllt und begeistert seinen Piloten nicht erst oberhalb von 4.000 Touren. Den Lenkung ist vergleichsweise leichtgängig und die Bremsen, oft ein Probleme bei Oldtimern aus den 50er und 60er Jahren, ist schlicht grandios. Fast schon lässig lassen sich händisch die vier Gänge durchschalten, um den Direkteinspritzer zu Höchstleistungen herauszufordern. Und wem der Fahrtwind bei 180 km/h die Frisur zerreißt, dem kommen nicht zum ersten Mal die grandiosen Rennsporterfolge des 300 SL in den Sinn. Die meisten feierten in den 50ern allerdings die Flügeltürer und die Rennversionen des 300 SLS, die die Gegner auf Mille Miglia, Panamericana und Nordschleife oftmals pulverisierten. Doch auch dahinter muss sich der braune Rallye-Roadster nicht verstecken. Er ist eben einer wie keiner. Mike Kunz: „Sicher gibt es schönere 300er als diese Rallyeversion. Aber kaum einer fährt so gut – eben weil er regelmäßig gefahren wird. Die Autos werden vom rumstehen einfach nicht besser.“ Sagt’s und braust davon.

Quelle: Autoplenum, 2010-11-04

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