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Testbericht

Wolfram Nickel/SP-X, 7. August 2016

„Der neue große Audi 100. Unser schönstes Stück Technik“, texteten die Ingolstädter voller Stolz in großformatigen Anzeigen zum Marktstart der zweiten Generation ihres Flaggschiffs. Schließlich lösten die im August 1976 vorgestellten 4,68 Meter langen Limousinen nicht nur den etwas kompakter gehaltenen, gleichnamigen Vorgänger ab. Die neue repräsentativ geformte Modellfamilie – zu der auch ein progressiver Fünftürer namens Avant zählte – setzte Meilensteine im Motorenbau und sollte sich mit Mercedes messen.
 
Dazu vertraute Audi auf die global erste Triebwerks-Familie aus Fünfzylinder-Benzinern und Selbstzündern in Pkw, lanciert auf Initiative von Ferdinand Piëch. Dieser war seit 1975 Audi-Technikvorstand und hatte zuvor schon mit seinem eigenen Konstruktionsbüro für den Mercedes 240 D 3.0 einen ersten Fünfzylinder-Diesel entwickelt. Nun setzte Piëchdarauf, dass der neue Audi 100 durch Fünfzylinder-Spitzenmotorisierungen den Sechszylindern von Opel und Ford Paroli bot, es aber auch mit Mercedes und BMW aufnehmen konnte und so dem Slogan „Vorsprung durch Technik“ gerecht wurde. Übrigens war dieser Werbespruch ebenso ein Erbe der avantgardistischen Wankel-Limousine NSU Ro 80, wie die ursprünglich für den großen Audi vorgesehene Kreiskolbentechnik. Tatsächlich lief die Erprobung des Audi 100 mit 132 kW/180 PS starken Kreiskolbenmotoren bis 1979, ehe das endgültige Aus für den Wankel kam. Stattdessen präsentierte Ingolstadt den Fünfzylinder in der Topversion Audi 200 als Turbo mit 125 kW/170 PS Leistung. Ein 200-km/h-Jäger für die linke Spur, der das Image der ganzen Baureihe beschleunigte, von der bis 1982 rund 900.000 Autos verkauft wurden.
 
Von Vergleichen mit Mercedes wollte Audi 1976 bei der Pressepräsentation der neuen Modelle für die obere Mittelklasse noch nichts wissen. Vielleicht, weil im ersten Audi 100, intern F 104 genannt, noch ein Vierzylinder arbeitete, der einst bei Daimler-Benz entwickelt worden war und die F 104-Reihe sogar im Design Parallelen zum Mercedes 200 der „Strichacht“-Serie erkennen ließ. Vielleicht aber auch, weil der neue Audi 100 in Zeiten der Not geboren wurde, als sich der VW-Konzern komplett neu erfinden musste. Die VW-Heckmotormodelle waren Anfang der 1970er Jahre am Ende und der Golf sowie der Audi 50 und der Audi 80 (nebst den VW-Ableitungen Polo und Passat) mussten es nun richten. Die Kassen waren klamm und die Zeit war knapp.
 
Dies führte dazu, dass die zweite Generation des Audi 100 rekordverdächtig schnell innerhalb von zwei Jahren nach Erstellung des endgültigen Lastenhefts finalisiert wurde. Und der Fünfzylinder-Ottomotor als Aushängeschild im Motorenprogramm von der Fachwelt als Musterbeispiel für eine effiziente Gleichteilestrategie betrachtet wurde. Basierte der 2,1-Liter-Benziner doch auf dem auch im Audi 80 und VW Golf verwendeten 1,6-Liter-Vierzylinder, der um eine fünfte Zylindereinheit erweitert wurde. Deshalb stimmen Zylinderbohrung und Zylinderabstände mit dem kleineren Vierzylinder überein, der zudem mit 63 kW/85 PS im neuen Audi 100 als Einstiegsmotorisierung angeboten wurde. Nur der Kolben-Hub des Fünfzylinders differierte deutlich, was zum prestigeträchtigeren Hubraumvolumen oberhalb der 2,0 Liter-Klasse führte.
 
Neben diesen Kosteneinsparungen bei der Konzeption des Fünfzylinders, den es anfangs nur als 100 kW/136 PS starken „5E“-Einspritzer gab, konnten die Audi-Konstrukteure so auch den Mehraufwand vermeiden, den ein alternativer Reihen-Sechszylinder mit sich gebracht hätte. Dafür wären nämlich eine geänderte Vorderachse und eine Getriebemodifikation notwendig gewesen. Stattdessen galt es beim Fünfzylinder vergleichsweise kleine Schwierigkeiten zu meistern, nämlich die deutlicher als in Sechszylindern wahrnehmbaren Massenmomente zweiter Ordnung und Drehschwingungen der Kurbelwelle. Dagegen halfen Gegengewichte und Schwingungsdämpfer, was blieb war der kräftiger vernehmbare Motorsound. Fand der kernige Fünfzylinder-Klang anfangs nicht nur Fans, änderte sich dies jedoch spätestens 1980 mit dem Siegeszug des Audi quattro.
 
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Baureihe vom Typ 43 bereits den Zenit ihrer Karriere erreicht und fast alle Erwartungen erfüllt. In Vergleichstests bezwangen die Viertürer – vorübergehend gab es auch eine ungeliebte zweitürige Limousine – kostspieligere Sechszylinderkonkurrenten und dank früher Leichtbautechniken waren die nur gut 1.100 Kilogramm wiegenden Limousinen erstaunlich schnell und sparsam. Letzteres natürlich ganz besonders als erster Audi mit Dieselmotor. Dieser Audi 100 5D debütierte im Herbst 1978 und glänzte mit einem Normverbrauch von 6,0 Liter bei 90 km/h – über 20 Prozent weniger als der zudem deutlich langsamere Mercedes 240 D. Knausern konnte aber nicht nur der Fünfzylinder-Selbstzünder, auch der Vierzylinder-Basis-Benziner war zum Ende seiner Karriere noch für eine Sensation gut. Mit optionalem Formel-E-Paket, das u.a. eine erste Start-Stopp-Anlage (SSA) und eine Schaltanzeige umfasste, begnügte sich der 63 kW/85 PS starke Audi 100 mit 6,1 Litern bei 90 km/h: Bis zu einem Drittel weniger als vergleichbare Konkurrenten wie der Ford Granada verlangten. Was nichts daran änderte, dass zu wenige Audi-100-Käufer die Option „Formel E“ orderten und das Sparprogramm deshalb wieder entfiel.
 
Unerfüllt blieben die Erwartungen der Audi-Absatzstrategen auch beim fünftürigen Audi 100 Avant, der statt eines klassischen Kombikonzepts – das nur als Prototyp realisiert worden war – ein Fließheck favorisierte. Ganz im Stil der kurz zuvor eingeführten Fastbackmodelle Rover 3500 SD1 und Renault 20/30. Lediglich knapp 50.000 Kunden entschieden sich in fünf Jahren für den ersten Lifestylelaster, dessen Kofferraum nur bei umgeklappten Rücksitzen 1.113 Liter Volumen bot. Sonst blieb es bei 433 Liter – zu wenig im Vergleich mit der Stufenhecklimousine, die mit 642 Liter damals einen Klassenbestwert setzte. Ein Volumen, mit dem der 1979 in gleicher Karosserie vorfahrende Audi 200 sogar die Mercedes S-Klasse übertraf. Auch wenn die S-Klasse kein wirklicher Gegner der Audi-Oberklasse war, konnte der Audi 200 5T mit dem ersten Turbo-Benziner aus Ingolstadt doch den 280 S ebenso von der Überholspur verscheuchen wie den BMW 728i. War er doch mit einer Vmax von 202 km/h Europas schnellster Viertürer mit Vorderradantrieb.
 
Vor allem aber symbolisierte dieser Turbo Audis ersten Angriff auf die automobile Oberklasse in der Nachkriegsära. Zwar erreichte der auch als einfacher ausstaffierter 5E lieferbare Audi 200 in den Verkaufszahlen letztlich nur einen Achtungserfolg, aber keine 15 Jahre später war es geschafft. Der Audi A8 erschien und avancierte zum Kanzlerauto. In ihren Gesamtproduktionszahlen übertrafen die vor allem in Neckarsulm gebauten großen Audi des Typs 43 zwar kaum ihren Vorgänger, aber sie konnten die Eingangstür zum Club der Premiummarken einen Spalt weit öffnen. Genug, damit es die 1982 eingeführte Nachfolgegeneration von Audi 100 und 200 zum Produktionsmillionär brachte.

Chronik:
1974: Am 24. April wird ein Lastenheft erstellt für den Nachfolger von VW K70, VW 412 und des ersten Audi 100. Später soll der Audi 100 Typ 43 auch den NSU Ro 80 ersetzen. Im Herbst wird das Design freigegeben
1975: Im Februar fällt die Entscheidung, sowohl die Limousinen als auch den Fünftürer mit Audi-Logo zu vermarkten, nachdem zuvor diskutiert wurde, ob der Avant als VW vertrieben werden sollte. Am 10. November läuft die Vorserienproduktion für den Audi 100 (Typ 43) an
1976: Im August wird in Luxemburg die zweite Generation des Audi 100 (Typ 43) vorgestellt. Dies zunächst als viertürige Limousine mit drei Ausstattungslinien (Basis, L und GL) sowie zwei lieferbaren Motorversionen (1,6-Liter-Vierzylinder mit 85 PS ab November und 2,0-Liter-Vierzylinder mit 115 PS ab August). Diese Motoren waren bereits aus dem Vorgänger bekannt. Angekündigt und der Presse präsentiert wird außerdem ein neu entwickelter 2,1-Liter-Fünfzylinder, der mit Benzineinspritzung 136 PS leistet. Ende des Jahres geht eine Versuchsserie von 20 Audi 100 GL mit Kreiskolbenmotor KKM 871 an den Start und für die wichtigsten Märkten Europa, USA und Japan erprobt
1977: Im Februar ergänzt eine zweitürige Limousine das Angebot, die allerdings nur in Basis- und L-Ausstattung erhältlich ist. Im April erfolgt der Marktstart des Audi 100 5E mit dem 2,1-Liter-Fünfzylinder-Einspritzer. Im August debütiert der Audi 100 in einer dritten Karosserieform als Avant. Diese fünftürige Schräghecklimousine zielt auf Kombikäufer, aber auch auf Kunden, die sonst nach den gleichfalls neuen Fastbacklimousinen Renault 20/30 oder etwa Rover 3500 geschaut hätten. In seinen Abmessungen ist der Audi 100 Avant zehn Zentimeter kürzer als die Limousine, aber in den selben Ausstattungen wie der Viertürer verfügbar. Der zuletzt nur noch für den US-Markt gebaute Audi 100 der ersten Generation läuft aus. In Südafrika beginnt die Montage des Typs 43 bei Volkswagen South Africa
1978: Zum Modelljahr 1978 ist der Audi 100 als Audi 5000 in den USA im Angebot, zunächst mit runden Doppelscheinwerfern, ab 1980 mit eckigen Leuchten analog zum Audi 200. Neu ist ab April 1978 der Audi 100 5S mit 115 PS starkem Vergaser-Fünfzylinder. Er ersetzt den nominell gleich starken 2,0-Liter-Vierzylinder. Neue Ausstattungslinien ab August als Basis, L, GL und CD. Die besonders hochwertig ausgestattete Spitzenversion CD (inklusive Aluräder, Metalliclackierung, vier elektrischen Fensterhebern etc.) ist nur mit Fünfzylinder-Motoren kombinierbar. Im Oktober ergänzt der erste Audi 100 mit Dieselmotor das Programm. Der Selbstzünder des Audi 100 5D ist vom Fünfzylinder-Benziner abgeleitet, hat aber nur 2,0 Liter Hubraum und leistet 70 PS. In der Folge ergänzt eine Turboversion mit 87 PS das Dieselangebot
1979: Im April teilt Audi mit, dass der Kreiskolbenmotor KKM 871 mit 170 oder 180 PS Leistung nicht in Serie geht. Im August große Modellpflege für den Audi 100 mit neuen Stoßstangen, größeren Scheinwerfern und Rückleuchten (letzteres nur bei Limousine), weißen vorderen Blinkleuchten und neu gestaltetem Interieur. Einen Monat später wird der Audi 200 vorgestellt als neues Flaggschiff der Marke. Der Audi 200 ist nur mit Fünfzylinder-Benzinern (5E mit 136 PS und 5T mit 170 PS) und nur als viertürige Limousine lieferbar. Mit einer Vmax von über 200 km/h ist er die damals schnellste Frontantriebslimousine
1980: Im Februar beginnt die Auslieferung des Audi 200. Neu ab August ist der Audi 100 5 mit 1,9-Liter-Fünfzylinder-Benziner
1981: Im September erfolgt der Marktstart des Audi 100 CS, der in vielen optischen Details dem Audi 200 ähnelt. Kleine Modellpflege und neue Ausstattungsgliederung für alle Audi 100 (C, CL, GL, CS, CD)
1982: Im September debütiert die dritte Generation des Audi 100 (Typ 44, C3), die den bisher gebauten Audi 100 ablöst
1983: Im Juni wird eine neue Generation des Audi 200 lanciert. Die Montage des Audi 100 (Typ 44) in Südafrika endet, Nachfolger wird der Audi 500 (abgeleitet vom Typ 44)    
 
Wichtige Motorisierungen:
Audi 100 mit 1,6-Liter-Vierzylinder-Benziner (63 kW/85 PS) bzw. mit 2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner (85 kW/115 PS) bzw. mit 1,9-Liter-Fünfzylinder-Benziner (74 kW/100 PS) bzw. mit 2,1-Liter-Fünfzylinder-Benziner (85 kW/115 PS) bzw. mit 2,1-Liter-Fünfzylinder-Benziner (100 kW/136 PS) bzw. mit 2,0-Liter-Fünfzylinder-Diesel (51 kW/70 PS) bzw. auf manchen Märkten mit 2,0-Liter-Fünfzylinder-Turbo-Diesel (64 kW/87 PS).
Audi 200 mit 2,1-Liter-Fünfzylinder-Benziner (100 kW/136 PS) bzw. mit 2,1-Liter-Fünfzylinder-Turbo-Benziner (125 kW/170 PS).
 
Produktionszahlen:
Audi 100/200 (Typ 43) insgesamt rund 900.000 Einheiten, davon 14.286 Audi 100 zweitürig, 787.252 Audi 100 viertürig und 49.588 Audi 100 Avant.
Einheiten nach Motorisierungen:
Audi 100 mit 1,6-Liter-Vierzylinder (85 PS) insgesamt 188.038 Einheiten (davon 11.019 Avant)
Audi 100 mit 2,0-Liter-Vierzylinder (115 PS) insgesamt 137.931 Einheiten (davon 4.138 Avant)
Audi 100 5S mit 2,1-Liter-Fünfzylinder (115 PS) insgesamt 125.912 Einheiten (davon 11.868 Avant)
Audi 100 5E mit 2,1-Liter-Fünfzylinder (136 PS) insgesamt 237.721 Einheiten (davon 18.214 Avant)
Audi 100 5 mit 1,9-Liter-Fünfzylinder (100 PS) insgesamt 11.635 Einheiten (davon 615 Avant)
Audi 100 5D mit 2,0-Liter-Fünfzylinder-Diesel (70 PS) insgesamt 94.075 Einheiten (davon 3.834 Avant)
Audi 100 5D mit 2,1-Liter-Fünfzylinder (115 PS) insgesamt 125.912 Einheiten (davon 11.868 Avant)
Audi 200 5E mit 2,1-Liter-Fünfzylinder (136 PS) insgesamt 12.523 Einheiten
Audi 200 5T mit 2,1-Liter-Fünfzylinder-Turbo (170 PS) insgesamt 38.807 Einheiten.
 
 
 
 
 

Mit dem weltweit ersten in Großserie gebauten Fünfzylinder-Benziner mischte der zweite Audi 100 vor 40 Jahren das Sechszylinder-Establishment auf. Als die Topversion mit Turboaufladung und dem Typencode Audi 200 debütierte, duellierte sich die Marke mit den Ringen endgültig mit Mercedes und BMW um die beste Technik in der Businessclass.

Fazit
Mit dem weltweit ersten in Großserie gebauten Fünfzylinder-Benziner mischte der zweite Audi 100 vor 40 Jahren das Sechszylinder-Establishment auf. Als die Topversion mit Turboaufladung und dem Typencode Audi 200 debütierte, duellierte sich die Marke mit den Ringen endgültig mit Mercedes und BMW um die beste Technik in der Businessclass.
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-08-07

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