Carfax-Fahrzeughistorien - Alles erfasst
Testbericht
In den USA sammeln private Datendienste schon seit Jahren alle
verfügbaren Daten aus dem „Leben“ der US-Autos: Anzahl der Besitzer,
Reparaturen, Kilometerstände, Unfallschäden – alles wird erfasst und bei
Bedarf als Report verkauft.
Auf der A9 setzt plötzlich der Motor aus. Eine gefährliche Situation für die
junge Fahrerin. Glücklicherweise passiert nichts Schlimmeres. Der
Abschleppdienst bringt den manövrierunfähigen Audi TT zur nächsten
Fachwerkstatt. Dort wird der Servicemeister stutzig, weil er die
Identifikationsnummer des maroden Fahrzeugs nicht zuordnen kann. Der
Fachmann bittet bei einem Datendienst für US-Importwagen um
Recherche. Prompt wird man fündig. Anhand der 17-stelligen
Identifikationsnummer lässt sich zweifelsfrei erkennen, dass dieses
Sportcoupé aus den Staaten stammt. Eine Versicherung hat das Auto
zudem mit einem „title“ versehen, einem Negativprädikat, das auf
schwerste technische Mängel verweist. Der Audi war Opfer von
Wirbelsturm Katrina, stand nach dem verheerenden Hurrikan dreieinhalb
Wochen in den Fluten. Anschließend ware sämtliche Leitungen defekt -
ein nahezu irreparabler Schaden.
Auf dem US-Markt wäre der Audi mit „title“ praktisch unverkäuflich
gewesen, hätte lediglich zum Ausschlachten an einen Teileverwerter
veräußert werden können. Doch der Händler, der den innerlich lädierten,
äußerlich aber weitgehend unversehrten TT bei der Auktion erwarb, hatte
andere Pläne. Er verkaufte das Sportcoupé nach Europa – wo ihn
schließlich die junge Münchnerin in einer Gebrauchtwagenbörse fand.
Fahrzeughistorien, die verbraucherrelevante, fahrzeugbezogene
Informationen wie zum Beispiel den tatsächlichen Kilometerstand, die
Anzahl der Vorbesitzer und bisherige Unfälle und Schäden eines Wagens
in einer Art Steckbrief zusammenfassen, bieten mehr Sicherheit für den
Verbraucher und können Gebrauchtwagenkunden vor den fiesen
Machenschaften unlauterer Händler schützen, sagen Christian Schmitz
und Frank Brüggink. Die beiden jungen Männer aus München sind
Geschäftsführer der Carfax Europe GmbH. Der europäische Ableger des
US-Mutterkonzern will in Europa durchsetzen, was in den USA gang und
gäbe ist.
Auf der anderen Seite des Atlantik sammelt Carfax schon seit über 20
Jahren alle verfügbaren Daten sämtlicher Fahrzeuge, die in einem der US-
Bundesstaaten zugelassen worden. Mehrere Milliarden Datensätze
beinhaltet die gigantische Datenbank des Unternehmens inzwischen.
Gespeist wird die Sammlung von den Zulassungsbehörden, von Polizei
und Feuerwehr, von Abschleppdiensten, Händlern, Werkstätten,
Mietwagenfirmen, Versicherungen und anderen Stellen mehr.
Gebrauchtwagenkunden können, wenn sie ein bestimmtes Fahrzeug ins
Auge gefasst haben, anhand der Fahrzeugidentifikationsnummer beim
einem der Datenanbieter recherchieren lassen. Zunächst wird gecheckt,
ob und wie viele Einträge es in der Datensammlung zur angefragten
Nummer gibt - und das ist kostenlos. Will der Kunde Näheres wissen,
muss er die Fahrzeughistorie anfordern, für die selbstverständlich eine
Gebühr anfällt.
In Deutschland gibt es einen solchen Service nicht. Die Sammlung und
Weitergaben der Daten wäre mit den derzeit bestehenden
Datenschutzbestimmungen nicht vereinbar. Die Auto-Biografen von
Carfax dürfen hierzulande nur tätig werden, wenn es um in den USA
gesammelte Informationen zu Importwagen geht. Die mal mehr mal
weniger umfangreichen Reporte werden allerdings nicht nur von
Kaufwilligen bestellt. „Die Zulassungsbehörden in Nordrhein-Westfalen
machen sich unsere Daten zu nutze, damit Autos mit bedenklicher
Vorgeschichte hier gar nicht erst auf die Straßen kommen,“ sagt Carfax-
Mann Brüggink.
Aber nicht nur unter den Gebrauchtwagen, die von Kontinent zu
Kontinenten verschoben werden, befindet sich allerhand Gefahrengut. Der
grenzübergreifende Autohandel in Europa, oftmals onlinebasiert und ohne
direkten Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer, öffnet Betrügern Tür
und Tor, so die Erfahrung der Datenprofis. Schmitz und Brüggink berufen
sich dabei auf einen Abgleich italienischer und schwedischer
Fahrzeugdaten. Die italienischen Behörden hatten ihnen unlängst Daten
von stillgelegten Fahrzeugen zur Verfügung gestellt. „Für uns war das
Material besonders aufschlussreich, weil die Italiener sogar den Grund für
die Stilllegung erfassen. Man kann also sehen, ob ein Auto als gestohlen,
als ins Ausland verkauft oder als verschrottet gemeldet worden ist.“ Rund
dreieinhalbtausend Autos, die im Stiefelland als verschrottet oder
gestohlen gelten, seien in der schwedischen Fahrzeugbestands-Datenbank
wieder aufgetaucht. „Wir haben die Daten an die Behörden beider Länder
weitergegeben. Jetzt ist es ihnen überlassen, welche Konsequenzen sie
daraus ziehen.“
Das für seine Offenheit im Ungang mit persönlichen Daten bekannte
Schweden erlaubt die Sammlung der relevanten Daten und die Ausgabe
von Fahrzeughistorien inzwischen uneingeschränkt für alle Autos. Kunden
zahlen für einen abgeforderten Report umgerechnet etwa zehn Euro.
Auch das kleine Slowenien hat grünes Licht für die Datensammelpraxis
gegeben. In Deutschland leisten die Schmitz und Brüggikk derzeit noch
Aufklärungsarbeit. Wenn schon in einem bevölkerungsarmen Land wie
Schweden so viele Fahrzeuge zweifelhafter Herkunft unterwegs sind,
lassen sich die Größenordnungen erahnen, in denen bedenkliche
automobile Ware in große Märkte wie Deutschland und Frankreich
geschleust wird, geben die Geschäftsmänner zu bedenken, wenn sie mit
ihrem Konzept hausieren gehen. Bedenken von
Verbraucherschutzorganisationen habe man jedoch schon weitgehend
aus dem Weg räumen können, sagt Schmitz. „Denn unsere Datenbank
enthält ja überhaupt keinen personenbezogenen Informationen. Alle
Daten lassen sich ausschließlich der Fahrzeugnummer zuordnen.“
Jetzt gilt es allerdings, auch auf der politischen Bühne Befürworter zu
finden, damit der rechtliche Rahmen für eine Fahrzeughistorien-
Datenbank geschaffen werden kann. Bei Andreas Scheuer, dem
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, sind
die Carfaxer offenbar schon auf offene Ohren gestoßen. „ Ergänzend zu
staatlichen Maßnahmen trägt so eine private Initiative wesentlich zu einer
Steigerung von Verkehrssicherheit und Verbraucherschutz in Europa bei“,
meint Scheuer. Gleichzeitig bedeute diese Transparenz auch eine Chance
für die Gebrauchtwagenhändler. Sie könnten die Fahrzeughistorien im
Sinne eines Qualitätssiegels nutzen.