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Testbericht

19. Mai 2016
Balocco (Italien), 23. Mai 2016

Keine Lust auf Spoiler-Alarm? Dann lassen Sie den ersten Absatz aus. Alfa Romeo hat nämlich ein ganz und gar fabelhaftes Auto gebaut und es hilft alles nichts, ich musste das einfach sofort loswerden. Nach Jahren der verpassten Gelegenheiten, nach diversen viel zu kompromissbehafteten Modellen, ist da endlich ein Alfa, der sich anfühlt, wie ein Alfa sich anfühlen muss. Es gibt wohl keine Marke, der man den Erfolg mehr gönnt. Umso schöner ist es, dass man es jetzt wirklich und ehrlich sagen kann: Die neue Giulia ist ein richtig, richtig gutes Auto. Keine "Hätte, wäre, wenns", einfach nur ein großartiges Auto. Punkt.

Wirklich wichtig
Warum das plötzlich so ist? Schließlich wurde schon der bildschöne Sportwagen 4C als großer Wendepunkt verkauft, fuhr sich dann aber eher so mittel. Die Antwort ist ziemlich simpel: Geld. Der 4C mit seinem aufwendigen Carbon-Chassis ist ein Image- und Technikträger, der kaum Stückzahlen produziert. Es reicht wohl, dass er unglaublich attraktiv und leicht ist. Feinschliff? Nicht so wichtig. Hier ist es anders. Dieser Schuss muss sitzen. Wenn die Giulia nichts taugt, wird auch das meiste, was Alfa in den nächsten Jahren vorhat - und das ist ziemlich viel - nichts wert sein. Der Grund ist eine komplett neue Plattform mit dem illustren Namen Giorgio. Für den Angriff auf München und Stuttgart wurde ein 800 Mann starkes Team aus dem Boden gestampft. Milliarden sind geflossen. Es wird ja nicht nur die hoch charismatische Giulia Quadrifoglio auf BMW M3 und Mercedes-AMG C 63 losgelassen (das wäre in der Tat ziemlich kurzsichtig), viel wichtiger sind im Gesamtkontext sicher die Brot-und Butter-Giulias mit den deutlich vernünftigeren Dieseln und Benzinern (sechs Motoren zwischen 136 und 280 PS) an Bord. Auch sie sind herzerwärmend schön, verfügen über Heckantrieb, sind vergleichsweise leicht, sehr agil und fahren/bedienen sich sehr stimmig. In Kürze wird es auf Giorgio sogar ein SUV geben. Alfa will seinen Output innerhalb der nächsten drei Jahre von 75.000 auf gut 400.000 Autos steigern. Ich nehme an, Sie erkennen die Relevanz.

Maranello-Motor
Aber zurück zum wunderbaren Irrsinn. Zum neuen Jäger von M3 und C 63 AMG. Schon die Basics lesen sich mehr als vielversprechend: Das Quadrifoglio-Chassis besteht aus Stahl und Aluminium, die umwerfend geformten 19-Zöller hängen vorne an Doppelquerlenkern, hinten an einer Mehrlenkerachse. Heckantrieb ist gesetzt, genau wie ein Torque-Vectoring-Differenzial mit zwei Kupplungen, das die Kräfte vollvariabel zwischen den Hinterrädern verteilt. Die Verbindung nach vorne wird durch eine Carbon-Antriebswelle hergestellt. Davor sitzt je nach Gusto ein Sechsgang-Schaltgetriebe oder (etwa ab September 2016) eine Achtgang-Automatik von ZF. Für Vortrieb sorgt ein funkelnagelneuer 2,9-Liter-Biturbo-V6 mit Zylinderabschaltung und dem Prädikat "von Ferrari inspirierte Technolgie". Das klingt ziemlich umständlich und "mit einem ordentlichen Schuß Ferrari drin" träfe es wohl auch deutlich besser. Schließlich teilt sich dieser Motor Bohrung und Hub mit dem Biturbo-V8 des California T und er entstammt der gleichen F154-Motorenfamilie. So richtig zugeben wollte das vor Ort allerdings niemand. Vermutlich würde das Alfa-Marketing diesen Tatbestand nur zu gerne von jedem Hausdach schreien, aber ich nehme an, der Mythos Ferrari soll nicht beschädigt werden.

Doch nicht so leicht
Wie dem auch sei, Alfas neuer Sechszylinder leistet kerngesunde 510 PS bei 6.500 U/min und 600 Newtonmeter, die ab 2.500 U/min anliegen. Sogar im neuen M4 GTS kommt BMWs Dreiliter-Biturbo da trotz Wassereinspritzung nicht ganz mit. Der C 63 S braucht für den gleichen Irrsinn immerhin einen Liter Hubraum und zwei Zylinder mehr. Für purzelnde Kilos sorgen bei der Über-Giulia optionale Carbon-Keramik-Bremsen und Sparco-Carbon-Schalensitze. Die Motorhaube, das Dach und der aktive Frontsplitter sind immer aus Kohlefaser. Wie sich das für einen gescheiten Alfa gehört, sieht das Blechkleid natürlich auch umwerfend aus. Aggressiv, aber trotzdem kurvig und sinnlich, mit einem ordentlichen Schuss Maserati im Heck und irgendeinem geheimen Zauber-Überzug, den es nur in Italien zu geben scheint. Die Gewichtsverteilung kommt auf 50:50, das Gewicht selbst ist aber etwas höher als erwartet. Alfa propagierte bisher immer um die 1.500 Kilo. Damit meinte man ganz offensichtlich das Trockengewicht, denn mit Fahrer sind es nun gut 1.650 Kilo. Etwa 60 Kilo mehr als beim M3.

Innen etwas einfach
Falls Sie noch immer den einen großen Fehler suchen, der das ganze Giulia-Menü ungenießbar macht, vergessen Sie es. Ich habe lange gestöbert und nichts gefunden. Na gut, der Innenraum ist qualitativ nicht (also eher gar nicht) auf dem Niveau der deutschen Premium-Konkurrenz, die Materialien wirken einfacher und bei einigen Spaltmaßen würden Audi-Mitarbeiter wohl Schnappatmung bekommen. Aber ganz ehrlich: Es ist zehnmal besser, als alles, was ich bisher von Alfa gesehen habe. Das Infotainmentsystem ist schneidig integriert und die Menüführung sowie die Bedienung über den Dreh-Drück-Schalter erinnern stark an BMW. Das ist eine hervorragende Nachricht, denn alles funktioniert und es funktioniert gut. Zudem sieht das Cockpit spitze aus: Reduziert aufs Wesentliche, kaum Knöpfe und Schalter, hier ein Schuss Carbon, da ein Eck Ferrari … das alles ist schon sehr speziell. Die Sitzposition ist genau auf den Punkt und selbst in Reihe zwei (Fond) und drei (Kofferraum) gibt es keinen Grund zur Panik.

Ferrari-Limousine
Nach allem, was in der Vergangenheit war, fühlt es sich noch immer komisch an, einen Alfa als seriöse Alternative für die Fahrdynamik-Monster M3 und C 63 in Erwägung zu ziehen. Das Irre daran ist: Es spricht verdammt viel dafür, dass die Giulia Quadrifoglio mehr Spaß macht. Was so erfrischend am Alfa ist: Im Vergleich zur deutschen Konkurrenz ist er relativ weich, er hat Federweg, er bewegt sich. Am Limit mag der M3 etwas ernsthafter, vielleicht schneller sein, aber dieses Auto fließt. Die perfekte Gewichtsverteilung gibt ihm eine wunderbare Balance und durch das geschmeidige Fahrwerk wird man bestens informiert, wie sich die Kräfte aufbauen und wo sie gerade so hinwandern. Die Giulia schnappt nicht zu, verführt eher sanft Richtung Grenzbereich, lässt einem Zeit. Die Lenkung ist irre leicht und super schnell. Sie sorgt für ein brutal direktes Einlenken, den zugehörigen Biss an der Vorderachse besorgen speziell angefertigte Pirelli PZeros (es gibt auch rennstreckentaugliche PZero Corsas). Die ultraspitze Lenkung und die sensible Federung harmonieren prächtig miteinander. Es fühlt sich … ja wirklich, es fühlt sich an, als hätte Ferrari eine Mittelklasse-Limousine gebaut. Ganz von der Hand zu weisen ist das ja auch nicht, schließlich ist Giulia-Chefentwickler Philippe Krief ein Ex-Ferrari-Mann. Er war unter anderem am 458 Speciale beteiligt. Es gibt wahrlich schlechtere Voraussetzungen.

Begnadete Bewegungen

Ganz "Maranello" ist auch der Knopf auf dem Manettino, der die adaptiven Dämpfer in drei Modi unterteilt. Der DNA-Schalter selbst regelt Lenkung, Getriebe, Gasannahme und Traktionskontrolle. Neu ist der R-Modus, der alles auf Angriff stellt und das ESP eliminiert. Wirkt der Dynamic-Modus noch recht restriktiv, öffnen sich in "Race" alle Schleusen. Angst ist aber auch ohne ESP-Fallschirm Fehl am Platz. Die Giulia ist am Limit bei weitem entspannter und freundlicher als ein M3. Sie bewegt sich begnadet elegant und vertrauenerweckend. Und das Torque-Vectoring-Diff macht einen sensationellen Job. Dieses Auto überschüttet einen förmlich mit Infos, man weiß immer genau, wieviel Traktion noch übrig ist. Der Rest ist Formsache: Egal, ob seriös und gripstark, mit leicht driftigen Tendenzen oder einem Übersteuer-Inferno, das man ohne große Mühe bis ins nächste Dorf ziehen kann - wie dieses Auto Kurven verlässt, ist schlichtweg atemberaubend. Ich habe selten ein Auto erlebt, das einfacher und kontrollierbarer driftet als dieses hier. Und sollte doch mal was in die Hose gehen: die elektromechanische Bremse ist gefühlsecht und beißt wie der Teufel.

Eher Automatik
Es klingt alles zu schön, um wahr zu sein und dann ist da ja auch noch dieses Monstrum von Motor. Er ist alles, was man sich von einem Aggregat mit Ferrari-Wurzeln nur wünschen kann: schön scharf im Ansprechverhalten, irrsinnig potent und gierig im kompletten Drehzahlbereich. Er ist keine Drehorgel (bei 7. 000 Touren ist Sense), aber ähnlich wie beim C 63 passiert bis dahin so viel Gutes, dass es nicht weiter stört. Ob man die 80 Mehr-PS gegenüber dem M3 wirklich spürt, müsste ein direkter Vergleich bestimmen. Entsetzlich schnell ist die Top-Giulia aber in jedem Fall. Außerdem klingt sie im besten Sinne italienisch. Nicht so haarsträubend wie ein AMG-V8, aber ohne viel Rücksicht auf Verluste: rotzig, ungestüm, ein bisschen oben drüber. Etwas weniger Überschwang erntet die manuelle Sechsgang-Schaltung. Sie ist in keinster Weise schlecht, nur nicht so knackig und konkret wie der Rest des Autos. Im September folgt eine ZF-Achtgang-Automatik mit Ferrari-ähnlichen XXL-Paddles und Schaltzeiten wie Peitschenschlägen, die einer Doppelkupplung in nichts nachstehen. Viele Hersteller verwenden diese ZF-Box, aber nirgends empfand ich die Implementierung aus sportlicher Sicht so gelungen wie hier.

Preislich ambitioniert
Preislich liegt die Giulia mit 71.800 Euro übrigens ziemlich genau auf M3-Niveau. Macht man sie komplett voll - inklusive Keramik-Bremse und den vortrefflichen Sparco-Schraubstöcken - kommt man auf knapp 90.000 Euro. Das ist reichlich selbstbewusst für einen Hersteller, der keinerlei Reputation in dieser gehobenen Gewichtsklasse hat. Allerdings ist die wunderschöne, begehrenswerte und so reichlich talentierte Giulia Quadrifoglio keinen Deut schlechter (vielleicht sogar besser) als die deutschen Platzhirsche. Alfa ist zurück. Falls Sie das auch so sehen, der Marktstart erfolgt am 17. Juni 2016.
Technische Daten
Antrieb:Hinterradantrieb
Anzahl Gänge:6
Getriebe:Schaltgetriebe
Motor Bauart:V-Motor, Biturbo
Hubraum:2.891
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:6
Leistung:375 kW (510 PS) bei UPM
Drehmoment:600 Nm bei 2.500 UPM
Preis
Neupreis: 71.800 € (Stand: Mai 2016)
Fazit
Endlich nicht mehr nur schön, sondern richtig fähig: Auch wenn es Alfa wohl nur die wenigsten zugetraut hätten, die neue Giulia Quadrifoglio ist tatsächlich auf einem Niveau mit BMW M3 und Mercedes-AMG C 63, macht womöglich sogar noch ein Fitzelchen mehr Spaß. Leichte Einbußen bei der Innenraum-Qualität sind verschmerzbar, denn das Gesamtpaket ist absolut stimmig. "Der beste Alfa aller Zeiten" klingt großspurig,ist aber definitiv angebracht. + fantastischer V6; sensationelle Chassis-Balance; wundervolles Fahrwerk; gutes Infotainment; vernünftiges Platzangebot - Innenraum-Qualität nicht ganz Premium; Schaltgetriebe könnte knackiger sein
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: auto-news, 2016-05-19

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