EU-Reifenlabel: Schöne neue Reifenwelt?
Testbericht
Köln. DieIdee klingt gut: Die Reifenwahl wird künftig ganz einfach. Ein Blick auf einen Aufkleber am Pneu genügt, schon ist der Kunde umfassend über die Qualitäten und besonders über die Energieeffizienz des Rundlings informiert. Ganz so, als ob man eine Waschmaschine erwerben wollte.
So oder so ähnlich hat sich das Europäische Parlament das wohl vorgestellt und am 25. November 2009 die Einführung eines Reifenlabels beschlossen. Der Aufkleber soll über die drei Eigenschaften Rollwiderstand, Nass-Bremsleistung und Abrollgeräusch des Pneus aufklären. Die Benotung erfolgt von A bis G, wobei A für die beste Bewertung steht. Zwischen jeder Stufe liegt eine Verbrauchsdifferenz pro 100 Kilometer von ca. 0,1 Liter und eine Verkürzung des Bremswegs auf nasser Straße - ausgehend von Tempo 80 - um bis zu sechs Meter.
Jeder nach dem 1. Juli 2012 produzierte Pkw-, Bus- und Leichtlastkraftreifen muss mit einem solchen Etikett ausgeliefert werden; ab 1. November 2012 sind die Hersteller verpflichtet, zusätzlich in allen Produktinformationen wie Broschüren oder Anzeigen auf die Eigenschaften hinzuweisen.
Aber die schöne Utopie birgt noch einige reale Tücken. Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber noch nicht die Formalia für die genauen Prüfstandards festgelegt hat, ist der wichtigste Kritikpunkt die Beschränkung auf nur drei Kriterien für die Beurteilung des Reifens. Ursprünglich sollte sogar nur der Rollwiderstand angegeben werden, doch dies wurde nach heftigen Protesten der Reifenhersteller wieder aufgegeben.
Der Rollwiderstand war im Zuge der EU-Bemühungen, den CO2-Ausstoß der Fahrzeuge zu beschränken, in den Focus der Brüsseler Politiker geraten. Ein Leichtlaufreifen trägt dazu bei, Treibstoff zu sparen und damit den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Nicht umsonst werden auf die Spritsparmodelle der Autohersteller solche Reifen montiert. Emissionen von 99 g/km lassen sich eben deutlich besser vermarkten als 100 g/km, außerdem gelingt so eine günstigere Einstufung der Kfz-Steuer. Aber ein niedriger Rollwiderstand steht im Zielkonflikt zu den sicherheitsrelevanten Eigenschaften eines Reifens und hier besonders zu der optimalen Haftung bei Nässe. Eine einseitige Optimierung des Rollwiderstands führt daher zu deutlich längeren Bremswegen.
Umgekehrt erzielt ein Pneu, der kurze Bremswege bei Nässe erreicht, keine Bestnoten beim Rollwiderstand. Um nun zu verhindern, dass Hersteller einen Reifen ausschließlich auf gute Rollwiderstandswerte auslegen, wurde als zweites Kriterium die Bremsleistung beim Nassbremsen hinzugenommen. Das bedeutet, dass es wie schon bisher auch weiterhin einen Kompromiss bei der Reifenentwicklung geben wird. Allerdings beschreibt der Aspekt Nassgrip nur einen Teil der vielen Sicherheitsaufgaben, die ein Reifen zu erfüllen hat. So werden wichtige Themen wie Fahrstabilität, Verhalten bei Aquaplaning oder Lenkpräzision ausgeklammert. Außerdem fehlen Aussagen zur Lebensdauer oder zur Umweltfreundlichkeit. Und die Beurteilung von Wintereigenschaften ist ebenfalls nicht vorgesehen.
Dagegen gibt es bereits eine Verordnung für strengere Grenzwerte beim Reifenrollgeräusch. Seit dem 1. Oktober 2010 müssen Neureifen mit Laufflächenbreiten bis 215 Millimeter als Nachweis ihrer Lärmdämpfung die Kennzeichnung „S“ (“sound“) in der eingeprägten Erkennungsnummer tragen. Das heißt, sie dürfen je nach Größe eine Geräuschemission von 72 bis 75 Dezibel nicht überschreiten. Die übrigen Reifen folgen sukzessive in den nächsten zwei Jahren.
Durch die strengen Vorgaben aus Brüssel an die zu erfüllenden Mindeststandards wird wohl 2012 keine A-Klassifizierung erreicht werden. Rund 30 Prozent der heute angebotenen Pneus können nach Berechnung des Reifenherstellers Michelin noch nicht einmal eine G-Note erreichen und müssen somit vom Markt genommen werden.
Der französische Reifenspezialist investiert daher jährlich 500 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung. Bei den anderen großen Produzenten dürfte sich der Aufwand in ähnlichen Größenordnungen bewegen, zumal 2016 die einzuhaltenden Leistungswerte verschärft werden, die Anforderungen an die Reifenhersteller also weiter zunehmen. Aber auch auf die Verbraucher kommen vermutlich Kosten zu, da jedes Reifenmodell inklusiver jeder verfügbaren Größe einzeln zertifiziert werden muss und dieser Aufwand sich vermutlich in höheren Preisen niederschlagen wird.
Trotz aller Unausgewogenheit begrüßen die Reifenhersteller das Label als Verbesserung der Verbraucherinformation. Die Käufer sollten sich jedoch nicht ausschließlich darauf verlassen. Schließlich ist Papier beziehungsweise ein gummierter Aufkleber geduldig, solange es noch keine Sanktionen bei falschen Angaben gibt. Testberichte von Automobilclubs, Fachzeitschriften oder von Verbraucherverbänden werden daher weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Bei solchen Tests fließen zusätzlich zu den drei Kriterien auf dem Label bis zu elf weitere in die Bewertungen ein. Auch der Fachhandel wird weiterhin seine Beratungskompetenz unter Beweis stellen müssen. Schon heute kann der Autofahrer Spritsparen und damit die CO2-Emissionen seines Fahrzeugs senken – ganz ohne bürokratischen Aufwand – mit einem sensiblen Gasfuß, Übersicht und dem korrekten Luftdruck im Reifen. Elfriede Munsch/SP-X
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Ein Aufkleber soll die Reifenauswahl ab 2012 vereinfachen – so die Vorstellung der Politiker aus Brüssel. Doch auch gummiertes Papier ist geduldig und das neue EU-Reifenlabel damit nur bedingt aussagekräftig.
Ein Aufkleber soll die Reifenauswahl ab 2012 vereinfachen – so die Vorstellung der Politiker aus Brüssel. Doch auch gummiertes Papier ist geduldig und das neue EU-Reifenlabel damit nur bedingt aussagekräftig.





























