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Testbericht

4. Juli 2008
Lissabon (Portugal), 4. Juli 2008 - Mit Legenden ist das so eine Sache: Diejenigen, denen die Gnade eines frühen, spektakulären Todes verwehrt bleibt, erlangen nur selten den ganz großen, bleibenden Ruhm. Marlon Brando, der jugendliche, knackige Rebell der 50er-Jahre wurde im Alter nicht etwa besser. Stattdessen zog sich der Schauspieler auf eine Südseeinsel zurück, futterte sich eine XXL-Wampe an und trat höchstens noch in billigen B-Movies vor die Kamera. Ganz schön traurig. Der Stoff aus dem die Helden sind, sieht anders aus: James Dean und Marilyn Monroe etwa traten in der Blüte ihrer Jahre, und unter tragischen Umständen, von der Bühne des Lebens ab. Und weil ihnen das Schicksal erst gar keine Gelegenheit gab, fett, alt, exzentrisch oder peinlich zu werden, werden sie in unseren Köpfen auf ewig jung und schön weiterleben. In der Blüte seiner Jahre Und so verwundert es auch nicht weiter, dass VW bei der Pressepräsentation des neuen Scirocco den Bogen zum ewig knackigen Ur-Modell schlagen will. Drei Exemplare des kantigen Modells haben die Wolfsburger mit nach Lissabon gebracht. Vom pummeligen zweiten Scirocco, der in etwa so sexy wie Elvis im weißen Strampelanzug war, fehlt beim VW-Event an der Atlantikküste jede Spur. Nah am Konzept Fans und Fachwelt reagierten mit gemischten Gefühlen, als die Niedersachsen ihre Revival-Absichten für den Scirocco erstmals verkündeten. Selbst als die mutige IROC-Studie vorgestellt wurde, waren noch längst nicht alle Kritiker überzeugt. "Den bauen die doch eh nicht so." Falsch gedacht! Lobenswerterweise sind die Macher aus Wolfsburg beim Design des neuen Scirocco nur um ein paar Meter zurück gerudert. Beim ersten Kontakt mit dem giftgrünen Geschoss bin ich überrascht, wie gut das Auto in der Realität aussieht. Und mit dieser Meinung bin ich offenbar nicht alleine: Bei der Ausfahrt durch Lissabon erregt der Scirocco mehr Aufsehen als ein Rudel Retriever-Welpen. Junge Leute in aufgemotzten Seats verdrehen sich die Köpfe, ältere Herren bleiben beim Gang über den Zebrastreifen mitten auf der Straße stehen und glotzen, Polizisten verfolgen mich bis zum Parkplatz, um sich mit dem knackig-modernen VW ablichten zu lassen.

Außen hui, innen weniger hui Aber wie sagte schon VW anno 1974: "Wenn er nur schön wäre, wäre er nicht von uns". Beim Blick in den Innenraum macht sich zunächst Ernüchterung breit: Dort, wo andere Sportcoupés mit wildem Alu-Applikationen oder handgefrästen Metallschaltern ihre verspielte Seite rauskehren, setzt der Scirocco auf Großserientechnik aus dem Eos. Lediglich die dreieckigen Türgriffe aus Hartplastik und die groben Stoffapplikationen verströmen ein wenig jugendlichen Leicht-Sinn. Selbst die Instrumente stammen vom wenig aufregenden Blechdach-Cabrio - es läuft halt vom selben Produktionsband wie der Scirocco. Warum VW hier nicht die deutlich cooleren, getunnelten Uhren des Golf GTI verbaut? Die Kosten sind's. So jedenfalls rechtfertigen sich die Designer bei der Präsentation. Alles passt Objektiv kann man dem Interieur allerdings nicht viel ankreiden: Die Sportsitze packen ähnlich beherzt wie die des GTI zu, sehen schick aus und sind genau richtig gepolstert. Das exzellente Lederlenkrad liegt perfekt in der Hand und alle Schalter und Knöpfe sind dort, wo sie hingehören - typisch VW eben. Eine 1.000-Kilometer-Tour an die Côte d'Azur? Im Scirocco kein Problem. Auch wer seine Strandhasen gleich von daheim mitnehmen möchte, muss nicht verzweifeln: Auf der hinteren Bank ist Platz für zwei Erwachsene, die dort mit viel Knie-, aber leicht eingeschränkter Kopffreiheit, in sportlich ausgeformten Sitzmulden untergebracht sind. Kein Spielverderber Und selbst beim Thema Gepäck gibt sich der VW umgänglich: Knapp 300 Liter passen ins Kofferabteil, bei umgeklappter Rücklehne erweitert sich der Stauraum auf 755 Liter. Nicht ganz so umgänglich: Die Ladekante ist hoch und die Heckklappe lässt sich nur über die Schlüsselfernbedienung oder einen Schalter in der Fahrertür öffnen. Kritikpunkt Nummer zwei betrifft weniger die Umsetzung als vielmehr das grundsätzliche Design: Wie bei Sportcoupés üblich, betont der Scirocco seine dynamischen Ambitionen mit einer abfallenden Dach-, einer ansteigenden Seitenlinie und extrem breiten C-Säulen. Das Ergebnis sind äußerst flache Seitenfenster und eine Heckscheibe, die nur knapp über der Kategorie "Sehschlitz" liegt. Addiert man hierzu die herrlich unvernünftigen Rahmenkopfstützen, so ergibt das in der Summe eine mehr als bescheidene Sicht nach hinten und schräg hinten. Sei's drum: Dafür hat mein Scirocco eben eine rückwärtige Einparkhilfe (Aufpreis: 380 Euro). Schönheitsfehler am Rande: Auch wenn VW nicht müde wird, den Wagen als Coupé zu bezeichnen, so ist der Scirocco streng genommen eigentlich gar keins. Mit (versteckter) B-Säule und steiler Heckscheibe ist er formal dem Steilheck-Modell Volvo C30 näher als etwa dem Audi TT Coupé.

Leichter, aber nicht schneller als ein GTI Befeuert vom exzellenten 2,0-Liter-Turbo des Golf GTI, löst der Scirocco-Fahrer Übersichtsprobleme aber so oder so am elegantesten mit dem rechten Pedal. Der Motor hängt gierig am Gas, dreht willig hoch und katapultiert das Coupé in 7,1 Sekunden auf 100 km/h. Genau wie im scharfen Golf ist auch im 200-PS-Scirocco erst bei 233 km/h das Ende der Fahnenstange erreicht - wenigstens dann, wenn DSG für die Gangwechsel zuständig ist. Als Handschalter sind 235 Sachen drin. Im direkten Vergleich zum GTI fällt allerdings auf, dass der Vierzylinder im Scirocco einen Teil seiner Stimmgewalt eingebüßt hat. Beim Durchbeschleunigen klingt der Golf schlichtweg kerniger und böser als sein zweitüriger Verwandter - ein Leisetreter oder gar akustischer Langweiler ist der Scirocco allerdings weiß Gott nicht. Begleitet von dumpfen Schlägen aus dem Auspuff treibe ich den VW von einer Schaltstufe in die nächste. Genau so muss eine Automatik funktionieren: Auch wenn ich jeden Gang bis zum Begrenzer ausquetsche, erfolgen die Schaltvorgänge absolut ruckfrei und fast unmerklich. Im D-Modus hingegen gibt sich das DSG so brav und unauffällig wie ein klassischer Wandler. Schön neutral Akustisch zeigt der Golf GTI dem Scirocco vielleicht, wo Bartel den Most holt. Bei der Fahrdynamik hingegen liegt das Coupé eindeutig vorn. Im Prinzip stammt das Fahrwerk zwar vom Wolfsburger Breitensportler, für den Scirocco wurde es allerdings angepasst und verfeinert. Eine breitere Spur, fettere Gummis im 235er-Format sowie ein vorbildlich sanft regelndes ESP machen das Coupé merklich direkter, zackiger und kurvengieriger als den GTI. Dank geändertem Setup geht der Wagen praktisch wankfrei durch die Kurven. Passend zum sportlichen Auftritt ist die Bremsanlage, die den 1,3-Tonner souverän im Griff hat. Das Pedalgefühl ist ebenso wie die Dosierbarkeit gut, die Performance durchaus eines Sportwagens würdig. Der kann auch quer Grundsätzlich untersteuert auch dieser Fronttriebler, allerdings muss man es schon sehr schnell angehen lassen, um eine solche Reaktion zu provozieren. Das überarbeitete ESP verhält sich dabei vorbildlich: Es regelt spät und so behutsam, dass es der Fahrer kaum mitkriegt. Dabei lässt die Elektronik durchaus Raum für spaßige Manöver: Mit Gas in die Kurve, kurz gelupft oder gar die Bremse angetippt: Schon wird das knackige Heck leicht und möchte mitlenken. Erst wenn der Driftwinkel zu groß wird, zieht das ESP sanft die Zügel an. Das Schöne: Selbst wenn das Heck leicht ins Tanzen kommt, fühlt sich der Wagen jederzeit gutmütig und beherrschbar an. Das weniger Schöne: Der Scirocco kann derart schnell und neutral bewegt werden, dass sein volles Potenzial auf öffentlichen Straßen nur schwer ausgelotet werden kann.

Elektronisches Fahrwerk Dies gilt umso mehr, wenn das adaptive Fahrwerk DCC (Dynamic Chassis Control) für 925 Euro mit an Bord ist. In der Sport-Einstellung verhärtet es nicht nur die Stoßdämpfer, sondern strafft auch die Lenkung. Die ist zwar auch ohne das elektronische Helferlein sehr gut abgestimmt und vermittelt genau das richtige Maß an Rückmeldung. Mit DCC auf "Sport" gibt's aber noch einen Tick mehr Präzision. Wirklich glänzen kann das System bei schlechtem Belag. Im Sportmodus etwa hoppelt der Scirocco bei höheren Geschwindigkeiten über wellige Straßen. Ein Druck auf die DCC-Taste, und der Wagen gleitet im Comfort-Modus über die Unebenheiten hinweg. Klar: Zur Sänfte wird der Scirocco damit auch nicht. Ob mit oder ohne DCC: Das Coupé ist grundsätzlich straff abgestimmt. Allerdings bietet der VW in jedem Fall genügend Restkomfort und nervt seine Passagiere nicht mit übertriebener Härte. Auf sich allein gestellt Das Thema Kosten ist vielleicht nicht besonders sexy, im Fall eines Volkssportlers kann es allerdings entscheidend sein. Beim Grundpreis ist VW außerordentlich fair: Mit dem 200-PS-Motor des GTI kostet der Scirocco 25.550 Euro - also 100 Euro weniger als der Golf. DSG kostet 1.850 Euro extra. Mit einem Verbrauch von 7,7 Liter (laut Hersteller) sollten sich zudem auch die Unterhaltskosten im überschaubaren Rahmen bewegen. In der Realität hingegen dürfte sich der Vierzylinder zwischen acht und 10 Liter auf 100 Kilometer einverleiben. Schwierig wird's bei der Suche nach Vergleichskandidaten: Ein Audi TT dürfte in etwa die gleiche Klientel ansprechen, bietet aber deutlich weniger Nutzwert als der VW. Zudem kostet der Ingolstädter mit demselben 200-PS-Motor satte 32.750 Euro und seine Aufpreise sind ebenfalls gesalzen. Der formal ähnliche Volvo C30 ist ebenfalls teurer, allerdings auch ein wenig stärker: Mit dem Fünfzylinder-Turbo und 230 PS geht er für 29.250 Euro vom Händlerhof.
Technische Daten
Antrieb:Frontantrieb
Anzahl Gänge:6
Getriebe:Doppelkupplungsgetriebe
Motor Bauart:Otto-Reihenmotor mit Turbolader, DOHC
Hubraum:1.984
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:4
Leistung:147 kW (200 PS) bei UPM
Drehmoment:280 Nm bei 1.700 bis 5.000 UPM
Preis
Neupreis: 27.400 € (Stand: Juli 2008)
Fazit
Operation gelungen, Patient wiederbelebt. VW knüpft an glorreiche Sportcoupé-Zeiten an, ohne dabei dem inzwischen reichlich ausgelutschten Retro-Wahn zu verfallen. Der Scirocco ist ein bildschönes, praktisches, bezahlbares aber eben auch modernes und eigenständiges Auto. Die Fahrdynamik ist hoch entwickelt, auch wenn das Konzept locker ein paar PS mehr vertragen könnte - die R-Version ist ja bereits angekündigt. Somit beschränken sich die Kritikpunkte auf Kleinigkeiten, mit denen Käufer eines Coupés sicher gut leben können. Die Sicht nach hinten ist schlecht, die Ladekante zu hoch. So what? Einen weiteren Rüffel gibt's für die Entscheidung, im Inneren das allzu brave Eos-Cockpit zu verbauen. Sorry, aber diese platten Uhren passen einfach nicht zum scharfen Exterieur. Ansonsten herrscht eitel Freude, auch für nutzwertorientierte Sparfüchse: Der Einstiegspreis liegt auf Golf-Niveau, der Verbrauch ist moderat und selbst Mitfahrer mit Gepäck kommen locker unter. Gerade mit Blick auf den deutlich unpraktischeren Konzern-Cousin Audi TT macht der Scirocco rundum eine verdammt gute Figur.
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: auto-news, 2008-07-04

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