GM auf der Expo 2010 - Sag es mit Disney
Testbericht
Insolvenz war gestern: GM denkt schon wieder in ganz neuen Dimensionen. Auf der Expo zeigen die Amerikaner ein automobiles Nimmerland mit einer so gigantischen Hollywood-Show, dass einem die Spucke wegbleibt.
Wir schreiben das Jahr 1957 in den USA. Tulsa im Bundesstaat Oklahoma ist eine total autoverrückte Stadt, nur in Los Angeles gibt es mehr Automobile pro Einwohner. Da kommen die Stadtväter auf eine ungewöhnliche Idee. Sie vergraben eine Zeitkapsel, die die Menschen 50 Jahre später an das Tulsa von damals erinnern soll. Der Autohersteller Plymouth stiftet dazu seine modernste Errungenschaft: Ein 57er Belvedere Sport Coupé, cremeweiß mit goldenen Zierleisten. Zu den illustren Grabbeigaben gehören ein paar Kannen Motoröl und zehn Gallonen verbleites Benzin. Warum? Ist doch klar – im Jahr 2007 werde man längst mit atomgetriebenen Fahrzeugen über die Highways schweben, denken viele Menschen. Der Fortschrittsglauben ist ungebremst, die Zukunft ein einziges „Tomorrowland“ wie in Walt Disneys Themenpark.
Im Jahr 2010 ist die Mobilität der Zukunft wieder einmal Thema Nummer Eins. Wer wissen will, wie der Autogigant General Motors bis zum Jahr 2030 den Verkehr umkrempeln will, muss zunächst stundenlang in der Schlange stehen – auf der Weltausstellung Expo in Shanghai. Zehntausende Besucher, fast alle davon Chinesen, drängen täglich in den Pavillon, den GM zusammen mit seinem Joint-Venture-Partner Shanghai Automotive Industry Corp. (SAIC) aus dem Boden gestampft hat. Der Pavillon ist so groß wie ein Fußballfeld, wurde mit 1400 Tonnen Stahl und reichlich Aluminium errichtet.
Der Eingang windet sich schneckenförmig in das mehrstöckige Gebäude. Bildschirme an der Wand zeigen den Wartenden mit kurzen Zeichentrickfilmen die Probleme des heutigen Verkehrs: Umweltverschmutzung, Dauerstau, Parkplatznot. Schließlich strömen die Besucher in einen Kinosaal mit einer 38 Meter langen und 300 Quadratmeter großen LED-Leinwand. Jeder nimmt in einem Sitz Platz, in dem man sich anschnallen muss.
Dann geht die Show auch schon los: Man wird mitten hinein gesogen in eine Zukunftsvision, in der GMs elektrisches Showcar EN-V die Hauptrolle spielt. Der eiförmige Zweisitzer stand bislang nur auf Automessen untätig in der Ecke, jetzt entfaltet GM ein gewaltiges Panorama. Die futuristischen Flitzer fahren völlig selbständig auf automatischen Straßen, parken auf Knopfdruck in riesigen Parkhäusern. Die Passagiere sind jederzeit vernetzt, die Windschutzscheibe dient als virtuelles Entertainment- und Kommunikationscenter. Wenn jemand auf die Straße läuft, bremst der EN-V automatisch. „Ohne Öl, ohne Emissionen, ohne Unfälle, ohne Staus“ lautet GMs Zukunftsvision.
Der Clou der Show: Die Sitze bewegen sich exakt im Takt der virtuellen Elektro-Eier - das Publikum merkt erst jetzt, dass es eigentlich in einem Fahrsimulator sitzt. Man schwebt über gigantischen Megastädten, die dennoch voller Parks und Grünanlagen sind, jagt durch kilometerlange Röhren und rollt auf Elektro-Tankstellen, an denen sich die Fahrzeuge in Windeseile mit Strom versorgen. Man fühlt sich an Science-Fiction-Filme wie „Das fünfte Element“ erinnert. Die Show hat auch Protagonisten, deren Leben im Jahr 2030 miteinander verwoben sind – komplett mit einer Herzschmerz-Liebesgeschichte, dramatischen Situationen und einem Happyend, bei dem natürlich die Autos eine heldenhafte Rolle spielen dürfen.
Das Beste war GM für seine Expo-Show gerade gut genug. Die Special-Effects wurden von Firmen kreiert, die auch schon Roland Emmerichs Katastrophen-Drama „2012“ und die „Harry Potter“-Streifen mit bildgewaltigen Szenen bestückten. Die Musik stammt von Kong Wing Chan, einer Kino-Größe aus Hongkong.
Die Filmshow ist jedoch nur der Anfang. Plötzlich fährt die Leinwand nach oben, und man blickt in ein riesiges Stadion. Nun rollen die Filmstars in der Realität auf die Bühne. Die Elektro-Flitzer fahren mit bunter Neon-Beleuchtung ein Ballett, begleitet von furioser Musik und Tänzern. Während man nach der Show noch ganz schwindelig und voll gepumpt mit Sinneseindrücken zum Ausgang wankt, kommt die nächste Überraschung. Weitere Show Cars sind auf einer Bühne ausgestellt, hunderte Chinesen lassen sich vor ihnen fotografieren, und auch der Merchandising-Stand mit Modellautos und T-Shirts darf nicht fehlen: Willkommen in Disneyland.
Mehr als drei Millionen Besucher will GM bis Oktober durch seinen Pavillon schleusen. An den Reaktionen der Menschen merkt man schnell, dass die „Vision 2030“ mächtig Eindruck macht. „Die Leute freuen sich auf die Zukunft. Viele fragen uns schon, wieviel ein EN-V kostet, und würden ihn am liebsten gleich mitnehmen“, sagt Elina Wang, Sprecherin des GM SAIC-Pavillons.
Die ersten Schritte hin zur schönen neuen Autowelt hat General Motors immerhin schon angekündigt. Bis 2015 will man bei Shanghai-GM zwölf neue Motoren einführen und damit Verbrauch sowie CO2-Ausstoß der Flotte um 15 Prozent reduzieren. 2011 sollen das Elektroauto Volt und eine Hybridversion des äußerst erfolgreichen Buick LaCrosse (ein Schwestermodell des Opel Insignia) auf den chinesischen Markt kommen. Wie es mit autonomen Autos, dem Ende der Verkehrsstaus und selbst einparkenden, emissionslosen Elektro-Eiern aussieht, ist noch nicht so ganz klar. Aber immerhin hat GM wieder eine optimistische Zukunftsvision – und man kann den Autogiganten festnageln, falls irgendwann der Rückfall zu Sprit fressenden Geländewagen droht.
Übrigens: Bei der Ausgrabung des berühmten Plymouth Belvedere von Tulsa ging die Show gründlich in die Hose. Die Zeitkapsel aus Beton leckte, der Wagen war nur noch ein rostiges Wrack. Die Marke Plymouth existierte 2007 längst nicht mehr, und vom Öl ist Amerika noch immer abhängig. Wunder dauern eben manchmal etwas länger.





























