Innenraumgestaltung - Der Traum vom Kokon
Testbericht
Ein Auto von der Stange wird es in ein paar Jahren nur noch selten geben. Egal in welcher Klasse man unterwegs ist: der Kunde will sich das eigene Traumauto ganz individuell nach seinen Wünschen zusammenstellen. Das gilt vom kleinen Lancia Y bis zum Rolls-Royce Phantom.
Die Autodesigner lieben Anglizismen. Hier ein "Cut" – da ein paar "Spots" oder ein paar "sharpe" Formen. Immer öfter fällt in den letzten Jahren der Begriff "cocooning". Heißt, der Autofahrer will sich in seinem Auto zurückziehen können und die Umwelt vergessen. Hier fühlt er sich wohl beschützt und kann – im Rahmen der Verkehrsregeln – machen was er will. Dazu muss das individuelle Umfeld passen. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ein Autoinnenraum aussah, wie jedes andere. Tacho, Lenkrad, Tankanzeige, Sitze, Ganghebel und ein paar Schalter – so präsentierten sich einst Massenmodelle wie der VW Käfer, die ersten Golf- oder Kadett-Modelle oder Klassiker wie Mini Cooper oder Renault 4. Doch die Zeiten der Enthaltsamkeit sind bei Autos auch in kleineren Fahrzeugklassen längst abgelaufen. Einst waren beheizbare Ledersitze, teure Soundsysteme oder exklusive Extras allein in Fahrzeugen ab der Oberklasse zu bekommen. Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Auch in Kompaktmodellen oder Kleinwagen wollen sich die Insassen heute wohler denn je fühlen und auf keinen Luxus verzichten, den sie vom eigenen Heim gewohnt sind. Das Thema Individualisierung steht nicht erst nach dem durchschlagenden Erfolg der Mini-Neuauflage und mittlerweile sechs erhältlichen Derivaten in den Marketing- und Verkaufsabteilungen der Autohersteller ganz oben an.
Eines der ersten Autos, das trotz kompakter Abmessungen und günstiger Preise ein Maximum an Individualität bot, war nicht der Mini, sondern der Autobianchi A112 oder später der Lancia Y. Hier gab es schon immer Leder- oder Alcantara-Sitze, Luxusausstattungen oder gar einen Allradantrieb. Mittlerweile alles nichts Neues mehr, doch in den 70er und 80er Jahren eine automobile Revolution. Die Hersteller geben sich alle Mühe, die Trends von morgen vorherzusagen. Besonders hoch sind dabei die Anforderungen an die Premiumhersteller. Daimler hat in Böblingen zu diesem Zweck ein bisher einzigartiges Customer Research Center mit angeschlossener psychologischer Kundenforschung. Gut 20 Mitarbeiter arbeiten täglich daran, Trends, Kundenwünsche und innovative Ideen zielgerichtet in die Entwicklung neuer Mercedes-Benz Fahrzeuge einfließen zu lassen. Dazu gehören unter anderem Haptik- und Lichtlabor, Akustikbereiche und die Möglichkeiten für Langstrecken-Fahrversuche.
Bei den anderen Herstellern sieht es kaum anders aus. Gemäß dem eigenen Markenimage wird sich darum bemüht, dass das Interieur eines Autos besonders hochwertig, elegant, sportlich oder exklusiv erscheint. Reinschlüpfen und sich wohl fühlen war nicht nur der 70er-Jahre-Slogan der Schuhmarke Romika, sondern gilt in der Autobranche aktuell mehr denn je. "Wichtig ist eine ausgewogene Mischung aus Bekanntem, Neuem und Progressivem", erklärt Mercedes-Benz Interieur-Designer Martin Bremer, "zu viel Bekanntes wirkt langweilig und altmodisch und bei zu viel Neuem fehlen Anknüpfungspunkte an Gewohntes und Gelerntes." Jeder Kunde ist jedoch anders. Umso wichtiger, dass sich das eigene Auto gemäß den Wünschen des Kunden adaptieren lässt. Der Erfolgsmodell Mini lässt sich mit verschiedenen Ausstattungspaketen größtmöglich individualisieren. Oberflächen aus Aluminium, Holz oder schwarzem Klavierlack sind ebenso verfügbar wie ein beledertes Armaturenbrett und verschiedene Farbpakete.
Auch die neuen Mercedes-Einstiegsmodelle der A- und B-Klasse passen sich ganz den Wünschen der Kunden an. Die einen möchten Echtholzflächen, andere sportliche Leisten mit Farbelementen oder Alu. Einen ähnlichen, wenn auch nicht ganz so aufwendigen Weg geht Audi mit dem A1 oder Fiat und Lancia. Fiat 500, die Familienversion 500L oder der Lancia Y bieten innen und außen eine Vielzahl von Farben, Materialien oder Paketen damit kaum ein Modell so aussieht wie ein anderes. Auch die neuen Kompaktmodelle VW Golf und Mercedes A-Klasse, die beide noch in diesem Jahr kommen, werden hier einiges bieten. Mercedes-Designer Peter Balko: "Wir sehen unsere Aufgabe darin, Lebensräume zu kreieren, die dem Streben nach Entspannung, Geborgenheit und Genuss Rechnung tragen. Daher gehört zu einem stimmigen Gesamtkonzept auch ein luftiges Raumgefühl."
Was im Kleinen bei Fahrzeugen der unteren Klasse gilt, nimmt in der Luxusliga oberhalb von Audi A8, 7er BMW oder Mercedes S-Klasse ganz andere Formen an. Das Maximum an Individualisierungsmöglichkeiten bietet zum Beispiel der Luxushersteller Rolls-Royce. Ein großer Teil der gerade durchgeführten Werkserweiterung in Goodwood / West Sussex kommt dem Bespoke-Programm zugute. Hier kann der Kunde eines Ghost oder Phantom die bereits prächtig ausstaffierten Luxuslimousinen noch weiter nach seinen Wünschen ausstatten: "Rolls-Royce Kunden gehen davon aus, dass wir ihre Erwartungen übertreffen und ihre kühnsten Träume wahr werden lassen", erläutert Torsten Müller-Ötvös, CEO von Rolls-Royce, "mit weitreichenden Bespoke Individualisierungen erfüllen wir diesen Anspruch. Die Hingabe, mit der das Bespoke Team diese einzigartigen Fahrzeuge kreiert, ist besonders an einigen wirklich außergewöhnlichen Exemplaren zu erkennen, die wir im vergangenen Jahr an Kunden auslieferten." Mehr als 80 Prozent aller Rolls-Royce Phantom passierten die Bespoke Abteilung mit ihrem Team aus Designern und Spezialisten für handwerkliche Arbeiten. Auch mehr als jeder zweite Rolls-Royce Ghost wurde mit Bespoke-Modulen individualisiert. Auf der Shanghai Motorshow des Jahres 2011 zeigte BMW-Edelableger Mini eine limitierte Sonderedition "inspired by Goodwood" mit Luxusmaterialien aus der Rolls-Royce-Manufaktur. Das dürfte in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Auch Fiat brachte den erfolgreichen 500er schon mit Sondereditionen, die in Zusammenarbeit mit Ferrari oder Gucci erstellt wurden.
Eine immer größer werdende Bedeutung kommt dabei Bedienelementen und Bildschirmsystemen zu. Kaum ein Neuwagen kommt noch ohne großen Bildschirm aus, auf dem Navigationskarte, Apps oder Soundsystem abgebildet werden. In den nächsten Jahren wird hier noch mehr passieren, wenn die Autos zu Dank LTE-Datenturbo zu fahrenden Funkwaben werden. Zahlreiche Fahrzeuge von Peugeot über BMW bis hin zu Rolls-Royce, Mercedes und Audi sind bereits unterwegs online. Das wird die Fahrzeuginnenräume weiter revolutionieren – mehr denn je.





























