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Testbericht

Stefan Grundhoff, 17. September 2020
Wer an eine Staatslimousine denkt, dem kommt zumeist noch immer der schwarze Mercedes 600 der legendären Baureihe W 100 in den Sinn. Mehr als 25 Jahre war die Luxuskarosse das perfekte Gefährt, wenn Deutschland Staatsgäste empfang. Von seiner Faszination hat der 600er nichts verloren.

Deutschland bemühte sich in der Nachkriegszeit mehr denn je darum, für das Ausland ein verlässlicher Partner zu sein. Das galt nicht nur bei Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik, sondern auch bei der Wahl der Präsidentenlimousine. Die Bundesregierung gönnte seinen Staatsgästen von 1965 bis in die frühen 90er Jahre nur das Beste vom Besten - den legendären Mercedes 600 Pullman. \"Lange Zeit galt der 600er als wohl bestes Auto der Welt\", erzählte vor Jahren Peter Schellhammer, seinerzeit bei Daimler für den Mercedes 600 zuständig, \"insgesamt wurde 2.677 Modelle vom 600 produziert. 428 davon wurden als Pullman und 59 als Landaulet ausgeliefert.\"

Einzigartig waren jedoch die beiden Staatslimousinen der Bundesregierung. Schwarz lackiert und schwer gepanzert sind sie bis heute Zeugnis eines aufstrebenden und alles andere als pompösen Bundesrepublik. Der Mercedes 600 passte so perfekt zur Bundesrepublik Deutschland wie die Villa Hammerschmidt, Bonn als Bundeshauptstadt oder die vier Besatzungsmächte. Wenn ein Staatsbesuch anstand, wendete sich das Auswärtige Amt an die Konzernzentrale von Daimler in Stuttgart. Die stellten bereitwillig die beiden elitären Zwillinge zusammen mit Fahrer und technischem Personal zur Verfügung. Der ehemalige Fahrer Wolfgang Wöstendieck und sein Mercedes 600 Pullman mit dem stilechten Kennzeichen S - VC 600 waren für viele Staatsgäste so fest mit Deutschland verbunden wie Helmut Schmidt, Willy Brandt oder Hans-Dietrich Genscher. Denn auch wenn politischen Strömungen über die Jahre Personen und Amtsträger austauschten, Wöstendieck und sein schwarzer 600er standen bei nahezu jedem Besuch zum sicheren Transport parat.

Zumeist ging es vom Flughafen Köln-Bonn nach Bonn, ins Villen- und Konsulatsviertel Bad Godesberg oder zum Gästehaus auf dem Petersberg. Wolfgang Wöstendieck hat die Strecken bei seinen insgesamt 116 Staatsbesuchen unzählige Male abgefahren; kannte Bonner Siedlungen und die kurvenreiche Auffahrt zum Petersberg beinahe so gut wie seine Ehefrau. Zumeist kutschierte er im langsamen Galopp, denn Eskorte, Protokoll und die 4,5 Tonnen Leergewicht gaben dem Tatendrang des schwarzen 600ers ein festes Korsett. Spezialreifen und die schwere Panzerung der beiden Staatslimousinen sorgten dafür, dass die an sich grandiosen Limousinen-Fahrleistungen der frühen 60er Jahre bei der Panzerversion zur Nabensache verkamen. \"Die längeren Strecken wurden sowieso meist geflogen. Wir fuhren meist nur einige Kilometer - um dann wieder lange zu warten\", berichtete einst der grauhaarige Limousinenchauffeur der Bundesregierung. Brenzlig sei es bei seinen Fahrten nie geworden: \"Doch als Breschnew da war, gab es in der Nähe von Gymnich eine Reifenpanne. Breschnew wurde in das zweite Fahrzeug gebracht, die Standarten umgebaut und nach 67 Sekunden konnten wir weiterfahren.\" Als zwei Tage später Prinz Philipp chauffiert wurde, schaute der nur auf die Reifen und fragte Wöstendieck spitzbübisch: \"Sind die Reifen auch in Ordnung?\"

So sehr Wolfgang Wöstendieck seinerzeit mit dem Volant der Staatslimousine verbunden war, so eng fühlte sich auch Peter Schellhammer mit Technik und Geschichte der Automobillegende der Baureihe W 100 verwoben. Er lieferte hunderte von Exklusivmodellen an Scheichs im Nahen Osten, Fürsten in Mini-Staaten und Sonderanfertigungen an besonders elitäre Kunden - weltweit von 1963 bis zum Produktionsende im Jahre 1981. Denn der 600 war auch als Straßenmodell zu keiner Zeit etwas für jedermann. Besonders beliebt waren die Langversionen, die mit vier und sechs Türen zu bekommen waren. Erlauchte Gäste genossen nicht wie heute den visuellen Schutz abgedunkelter Scheiben, sondern schützten sich mit grauen Vorhängen vor neugierigen Blicken. Doch allzu oft blieb der Sichtschutz fein säuberlich gefaltet und man genoss auf beiden Seiten der Scheiben Ein- und Ausblick. Um sich für Fotografen und neugierige Blicke besonders vorteilhaft in Szene zu setzen, waren nicht nur die beiden Staatslimousine mit orangefarbenen Leuchten im Dachhimmel ausgerüstet, die ein besonders warmes Licht abstrahlten. Während es sich hinten geradezu formidabel reisen lässt, sieht das hinter dem Steuer gerade bei den Langversionen mit der Trennscheibe ganz anders aus. Hier gibt es zwar bequeme Sessel mit Leder oder Flockvelours bespannt, aber keine große Beinfreiheit. Auf der Mittelkonsole sowie im Fond: ein bis drei Telefonhörer.

Die unzähligen Sonderausstattungen des 6,24 Meter langen Mercedes 600 Pullman können sich selbst nach heutigen Maßstäben sehen lassen. Die zwei Klimaanlagen, Fensterheber, Trennscheibe, Schiebedach oder Sitzverstellung wurden nicht wie heutzutage allgemein üblich elektrisch über die Schalter bedient, sondern über eine zusätzliche Komforthydraulik. \"Über die Komforthydraulik wurde beim 600 fast alles gesteuert\", so seinerzeit Peter Schellhammer, \"unter anderem sogar die Klappensteuerung der Klimaanlage.\" Der Einstieg in die Welt der Schönen und Reichen kostete zum Marktstart im Frühjahr 1964 56.000 D-Mark; die Langversion lag bei mindestens 63.500 D-Mark. Von Ausnahmen abgesehen wurde fast jedes Auto auf besondere Bestellung angefertigt. Sonderwünsche wie spezielle Polster, einen Elektrorasierer in der Mittelarmlehne oder eine Minibar waren daher an der Tagesordnung. \"Die meisten 600er waren schwarz oder dunkelblau\", erzählte Peter Schellhammer, \"doch es gab gerade auch in den USA viele Versionen in weiß oder silber.\" Die Entwicklung des 600 unter der Leitung von Dr. Ing. Fritz Nallinger dauerte dabei von 1956 bis 1963. Ziel war es einen \"Groß-, Reise- und Repräsentationswagen\" zu bauen, der schlicht das beste Auto aller Zeiten werden sollte.

Zum Verkaufsstart im Jahre 1964 war auch die Motorisierung des Mercedes 600 für viele so etwas wie ein automobiles Weltwunder. Unter der langen Motorhaube arbeitete bei allen Karosserievarianten ein mächtiger Achtzylinder, der Dank 6,3 Litern Hubraum 184 kW / 250 PS und 510 Newtonmeter Drehmoment leistete. Damit gewöhnliche Passagiere und erlauchte Staatsgäste standesgemäß und besonders komfortabel reisen konnten, dafür sorgte eine damals zukunftsweisende Viergang-Automatik, die automatische Parkbremse oder die sänftengleiche Luftfederung. Bei der Normalkundschaft nicht ganz unwichtig: der immerhin 2,6 Tonnen schwere 600er schaffte 207 km/h Spitze und 0 auf 100 km/h in knapp zehn Sekunden. Keine Bedeutung hatte dies damals für Wolfgang Wöstendieck. Staatsgäste wie Charles de Gaulle, Johannes Paul II, der Kaiser von Japan oder König Hussein von Jordanien wurden staatstragend wie auf einem fliegenden Teppich chauffiert. Dafür gab es bei den beiden gepanzerten Staatslimousinen der Bundesrepublik nicht nur Standartenhalter, sondern auch einen Kriechgang.

Quelle: Autoplenum, 2020-09-17

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