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Autoplenum, 2010-05-09

Mille Miglia 2010 - Eine kleine Reise um die Welt

Testbericht

Stefan Grundhoff

Die ersten Tage im Mai bedeuten für den nördlichen Teil Italiens jedes
Jahr den Ausnahmezustand. Wenn die Mille Miglia durch Städte, Land-
und Ortschaften dröhnt, wird das gestern zum heute.

Das Spalier wird immer enger und enger – genau wie bei der Tour de
France. Fotoapparate blitzen, immer wieder und immer wieder;
zehntausende stehen vor der Engelsburg in Rom und applaudieren als
sich die Oldtimer den Weg zur Rampe bahnen. Rom hat viele
Sehenswürdigkeiten und noch mehr Feste. Doch wenn die Mille Miglia
Anfang Mai Halbzeit bei der legendären Rundtour feiert, dann ist halb Rom
auf den Beinen. Noch spektakulärer sind die Durchfahrten durchs
nächtliche Cento, das turbulente Bologna oder die klassischen Stationen
wie Buonconvento, Parma oder Viterbo. Die Zuschauer grölen und
applaudieren, als wäre gerade der nächste Papst gekürt worden.
Hunderttausende von Italienern und fast genauso viele Mille-Miglia-
Touristen kommen jedes Jahr an die Route, wenn eine Schar von 375
Oldtimerfans sich daran macht, eine Strecke von eintausend Meilen
zurückzulegen.

Die Mille Miglia des Jahres 2010 bot wie gewohnt Höhen und Tiefen, am
zweiten Renntag vier Jahreszeiten von 23 Grad im Schatten bis zu drei
Meter hohen Schnee nur eine knappe Stunde nördlich von Rom. Liegen
gebliebene Lagondas, brüllende Bugattis und ein grandios schönes BMW
328 Mille Miglia Coupé, das exakt 70 Jahre nach dem großen Mille-
Triumph von Huschke von Hanstein an gleicher Stelle wieder siegreich
war. Bei der kleinen Reise um die Welt siegte einmal mehr Giuliano Cané.
Der Ruhe und Beständigkeit der Mille-Miglia-Legende war einmal mehr
durch nichts beizukommen. Der zurückhaltende Italiener gewann bei
seinem 14. Auftritt zum 10. Mal. BMW machte den Erfolg komplett und
stellte mit Enzo Ciravolo in einem BMW 328 von 1937 gleich noch Platz
drei.

Dabei ist der sportliche Wert der Rennveranstaltung nachrangig. Wurde
die Strecke von mehr als 1.600 Kilometern früher in Rekordzeiten von
unter neun Stunden zurückgelegt, so ist die Mille seit der Neuauflage im
Jahre 1977 das bekannteste Oldtimerrennen der Welt; ausgetragen an
zweieinhalb Tagen. Doch die Beanspruchung von Mensch und Maschine ist
enorm. Grund: es wird scharf gefahren. Die Polizei drückt die Tage alle
Augen zu und so wird ebenso über die sanften Hügel der Toskana
gedonnert wie durch die Außenbezirke von Rom oder hinauf den Passo
della Futa. Motorradpolizisten sorgen für freie Fahrt und machen sogar die
Gegenspur frei - animieren einen zum Beschleunigen und helfen beim
Schneiden unvorsichtiger Verkehrsteilnehmer. So eine Veranstaltung wie
die Mille Miglia kann es eben nur in einem Land geben - in Italien.

Das Teilnehmerfeld ist bunt: Promis, Rennfahrer, Väter mit ihren Söhnen,
Frauenteams und Entwicklungschefs von Autoherstellern. Nach den
zweieinhalb Tagen ist jeder, der es geschafft hat überglücklich. Was stört
einen da, dass einem nachts von Motorenlärm und Fahrtwind die Ohren
dröhnen. Die Teilnehmer kommen aus Europa, Asien, den USA und sogar
Australien – schließlich darf die Mille Miglia in kaum einem automobilen
Männertraum fehlen. Schließlich gibt es eine Oldtimerrallye wie die Mille
Miglia weltweit nur einmal. Die mehr als 1.600 Kilometer quer durch
Norditalien sind ein Großereignis, das mehr als nur die Automobilfans
begeistert. Der Titel der diesjährigen Veranstaltung „eine kleine Reise um
die Welt“ könnte passender kaum gewählt sein. Denn nachdem die
schönsten Oldtimer der Welt zwei Wochen zuvor beim legendären
Concorso d’Eleganza an der Villa d’Este am Comer See zu bestaunen
waren, ist Italien einmal mehr das Zentrum der historischen
Automobilwelt.

Jedes Jahr sind bei der Mille Miglia sind die schönsten Rennwagen der
Jahre 1927 bis 1957 im Renntempo zu bewundern. Das ehemals wohl
schwerste Autorennen der Welt ist bei seiner seit 1977 ausgetragenen
Neuauflage nicht mehr ganz so tollkühn, als Huschke von Hanstein,
Stirling Moss oder Juan Manuel Fangio, die rund 1.600 Kilometer durch
Italien im Renntempo zurücklegten. Schnell gefahren wird bei der Mille
Miglia noch immer. Zwar geht es in erster Linie um Gleichmäßigkeit und
Durchhaltevermögen, doch die grandiose Strecke von Brescia nach Rom
und zurück ist nach wie vor eine Beanspruchung für Mensch und betagte
Maschinen.

In jedem Ort – in jeder Stadt das gleiche Bild: hundertausende von Fans
am Straßenrand der Route brüllen und jubeln, was das Zeug hält.
Schließlich gilt es leistungsstarke Viel-Zylinder aus den Anfängen der
Automobilära zu übertönen. Wer glaubt, dass sich die Italiener allein für
Alfa-Romeo, Maserati und Ferrari begeistern können, die den originalen
Rennen bis 1957 den Stempel aufdrückten, irrt. Neben den schon wegen
des 100. Firmengeburtstages wild umjubelten Alfa-Modellen, ist die kleine
Armee von BMW 328 ein Star-Ensemble im Feld. Doch die Italiener lieben
gerade auch die eigenen Marken. Wo sonst bekommt man
Vorkriegsmodelle wie Lancia Lambda, Bugatti Typ 43, Alfa Romeo 6C oder
einen Fiat 514 zu sehen? Im Renntempo vor der malerischen Umgebung
erst wieder im nächsten Jahr – auf der Mille Miglia.

Quelle: Autoplenum, 2010-05-09
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