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Testbericht

Wolfram Nickel/SP-X, 16. Mai 2016

Kann es ein Zuviel des Guten geben? Mercedes konnte sich so etwas nicht vorstellen und deklassierte vor 25 Jahren mit einer pompösen S-Klasse im Kingsize-Format die versammelte Konkurrenz. Die Modelle 300 SE bis 600 SEL der Baureihe W 140 waren Mercedes der Superlative, wie die Fachwelt meinte. „Das beste Auto der Welt: Der Anspruch ist wohl berechtigt“, bestätigte die Presse, denn die S-Klasse setzte sich nicht nur in Tests gegen die Wettbewerber von Audi über Lexus bis Rolls-Royce durch. Vor allem avancierten die bis 5,21 Meter langen und mit optionalen V12-Maschinen bis dahin prestigeträchtigsten Stuttgarter Sternenkreuzer zu weltweiten Bestsellern. Außer in Deutschland.

Ausgerechnet auf dem Heimatmarkt ernteten die erstmals auch mit effizientem Sechszylinder-Diesel lieferbaren Luxusliner heftige Kritik. „Solche Saurier haben keine Zukunft“ oder die „Grenzen des Wachstums sind überschritten“, meinten Medien über das massige geformte Auto, mit dem die Chefs der Industrie und Bundeskanzler Helmut Kohl täglich in Nachrichtensendungen zu sehen waren. Erst als der W 140 seinem im Interieur deutlich enger geschnittenen Nachfolger Platz machte, wurde in der Presse Wehmut laut. Zu Recht, wie die zufriedenen Besitzer des Dickschiffs meinten, das überdies Langzeitqualitäten besaß und bis heute im Straßenbild präsent ist.

Tatsächlich zeigt die von Mercedes-Chefdesigner Bruno Sacco mit klaren Linien in Form gebrachte S-Klasse auch ein Vierteljahrhundert nach ihrem Debüt noch ihre repräsentativen Qualitäten. So integrierte sie sich unlängst unauffällig in die Flotte der Chauffeurslimousinen, die anlässlich des Staatsaktes für den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher vorfuhren. Genscher selbst nutzte zwar bis zum Ende seiner Dienstzeit die graziler geformte Vorgänger-S-Klasse W 126, für Bundeskanzler Helmut Kohl aber wirkte die neue Baureihe W 140 wie maßgeschneidert. Bot sie doch ein fürstliches Raumangebot für bis zu 1,90 Meter große Passagiere.

Außerdem war der W 140 ein Technologieträger, der weit in die Zukunft wies. Nicht nur durch Serienfeatures wie das Sprachbediensystem Linguatronic und das Notrufsystem Tele-Aid, sondern auch als 500 SEL VaMP (Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität – Pkw), der autonom im normalen Autobahnverkehr getestet wurde. Sogar durch sein Design wies der W 140 Wettbewerbern den Weg, wie der im Jahr 2000 eingeführte, ähnlich gezeichnete Lexus LS demonstrierte. Rolls-Royce dagegen griff im 1998 vorgestellten Silver Seraph sogar auf einen BMW-Zwölfzylinder zurück, um Anschluss an den 600 SEL zu finden. Dieser allerdings setzte bereits neue Maßstäbe durch eine 6,21 Meter lange Pullman-Staatslimousine. Lediglich ein Einzelstück für Papst Johannes Paul II blieb dagegen eine Landaulet-Limousine.

Tatsächlich hatte Mercedes mit dem großen Wagen am Sternenzelt seinen Führungsanspruch direkt nach dem Debüt auf dem Genfer Salon 1991 durchgesetzt. So wurden in den ersten neun Monaten nach Markteinführung global über 48.000 S-Klasse-Limousinen ausgeliefert, während BMW im ganzen Jahr nur 35.000 Siebener verkaufen konnte. Bei Jaguar waren es gerade einmal 18.000 XJ und bei Audi gar nur 3.000 V8-Limousinen. Dennoch war das erst der Anfang, denn im Jahr 1993 wurden schon doppelt so viele S-Klasse-Limousinen wie BMW 7er zugelassen.

Egal ob mit bescheidenem 2,8-Liter-Sechszylinder, knausrigem 3,0-Liter-Diesel (nur 8,1 Liter Normverbrauch), kraftvollen 4,2- und 5,0-Liter-V8 oder protzigem 6,0-Liter-V12 (bis 24,5 Liter Normverbrauch), in Deutschland waren die Vorstandsflaggschiffe umstritten wie bis dahin kein Prunkwagen. Vielleicht lag es daran, dass die Folgekosten der gerade erreichten deutschen Wiedervereinigung nach äußeren Symbolen der Bescheidenheit verlangten und große Fahrzeuge dem zunehmenden Umweltbewusstsein widersprachen.

Spott und Häme hagelte es für die Mercedes-Dickschiffe bei jeder Gelegenheit, etwa als sich herausstellte, dass die Hamburger High-Society nicht mehr per Autozug nach Sylt fahren konnte, weil die S-Klasse dafür mit knapp 1,90 Meter zu breit war. Ebenso belächelt wurden die automatisch ausfahrenden hinteren Peilstäbe, die das Einparken zwar erleichterten, aber an Fahrhilfen der Vergangenheit erinnerten. Ganz im Gegenteil zur Ultraschall-Parkhilfe „Parktronic“, die als Weltneuheit 1995 im Rahmen eines S-Klasse Facelifts eingeführt wurde. Neu waren in jenem Jahr auch ein Navigationssystem und das serienmäßige ESP. Eine Sicherheitsausstattung, die zwei Jahre später die beim Elch-Ausweichtest in Schweden ins Schlingern geratene A-Klasse stabilisieren sollte. Premiere feierte das heute selbstverständliche ESP übrigens im 600 SEC Coupé, der seit 1992 teuersten Art Sonderklasse zu fahren.

Die großen Coupés, neben dem 600er gab es auch den 500 SEC und ab 1994 zusammen mit einer neuen Nomenklatur das S 420 Coupé, genossen im Segment der weltweit edelsten Zweitürer fast eine Alleinstellung. Positioniert zwischen den SL-Sportwagen und den Limousinen suchten die zuletzt CL genannten Coupés ihre Rivalen eher bei Rolls-Royce, Bentley und Aston Martin als beim BMW 8er und Jaguar XJ-S. Egal ob als Coupé- oder Limousine, alle Riesen mit Stern konnten trotz ihres XXL-Formats fast schon supersportlich bewegt werden. Für den 300 kW/408 PS starken 600 SE etwa ermittelten Testfahrer wie Niki Lauda 6,0 Sekunden für den Sprint auf Tempo 100 und die Vmax ohne serienmäßige Abregelung lag angeblich bei 290 km/h. Damit hätte der V12-Benz den Maserati Quattroporte als weltweit schnellsten Viertürer entthront. Übrigens soll ursprünglich sogar ein 800 SEL mit V16-Machine geplant gewesen sein.

Mehr noch als die Kraftwerke faszinierte die kritische Fachpresse, vor allem aber alle S-Klasse-Käufer eine bei Mercedes neu entdeckte Liebe zur Finesse bis in kleinste Details. So verfügten die Luxuslimousinen erstmals über 60 Elektromotoren für Komfortfunktionen. Der Faltenwurf des feinen Leders galt als ebenso unübertrefflich wie die Verarbeitung der Holzdekore, die automatisch, sanft schließenden Türen, die Stille im dahin gleitenden Auto dank Doppelscheiben und ein Memory-System, das sogar die Spiegelposition umfasste. Features, die es fast alle auch für die Sechszylinder-Selbstzünder gab, die damit den Diesel in der Nobelklasse etablierten.

Bei den Mächtigen der Welt waren dagegen die gepanzerten Sonderschutzversionen und der S 600 Pullman so beliebt, dass deren Produktion über das Jahr 1998 hinaus fortgeführt wurde. Denn in jenem Jahr startete die nächste S-Klasse unter dem Werkscode W 220. Optisch wirkte sie eine halbe Klasse kleiner, was besonders die Liebhaber der Sechs- und Achtzylindertypen durch wesentlich höhere Bestellzahlen honorierten. Dagegen warteten so manche Geldmagnaten auf neuen Glanz und Gloria durch die für 2002 angekündigten Maybach Modelle, die technisch noch mit der W-140-Reihe verwandt waren.

Modellhistorie Mercedes-Benz S-Klasse (W140)

Ausgewählte Produktionszahlen:
Mercedes S-Klasse Limousine W 140: 406.717 Einheiten (1991-2000),
davon 20.518 Einheiten S 350 Turbodiesel,
7.583 Einheiten S 300 Turbodiesel,
22.784 Einheiten S 280,
98.095 Einheiten S 320,
85.346 Einheiten S 320 lang,
14.277 Einheiten S 420,
35.191 Einheiten S 420 lang,
21.942 Einheiten S 500,
65.065 Einheiten S 500 lang,
3.399 Einheiten S 600,
32.517 Einheiten S 600 lang.
104.625 W 140-Zulassungen in Deutschland.

Wichtige Motorisierungen:
Mercedes 300 SE 2.8 (1992-1993) mit 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (142 kW/193 PS);
Mercedes 300 SE (1991-1993) mit 3,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (170 kW/231 PS);
Mercedes 400 SE (1991-1993) mit 4,2-Liter-Achtzylinder-Benziner (210 kW/286 PS);
Mercedes 500 SE (1991-1993) mit 5,0-Liter-Achtzylinder-Benziner (240 kW/326 PS);
Mercedes 600 SE (1991-1993) mit 6,0-Liter-Zwölfzylinder-Benziner (300 kW/408 PS);
Mercedes 300 SD Turbodiesel (1992-1993) mit 3,5-Liter-Sechszylinder-Dieselmotor (110 kW/150 PS);
Mercedes S 350 Turbodiesel (1993-1996) mit 3,5-Liter-Sechszylinder-Dieselmotor (110 kW/150 PS);
Mercedes S 300 Turbodiesel (1996-1998) mit 3,0-Liter-Sechszylinder-Dieselmotor (130 kW/177 PS);
Mercedes S 280 (1993-1998) mit 2,8-Liter-Sechszylinder-Benziner (142 kW/193 PS);
Mercedes S 320 (1993-1998) mit 3,2-Liter-Sechszylinder-Benziner (170 kW/231 PS);
Mercedes S 420 (1993-1998) mit 4,2-Liter-Achtzylinder-Benziner (205 kW/279 PS);
Mercedes S 500 (1993-1998) mit 5,0-Liter-Achtzylinder-Benziner (235 kW/320 PS);
Mercedes S 600 (1993-1998) mit 6,0-Liter-Zwölfzylinder-Benziner (290 kW/394 PS).

Chronik:
1981: Nur zwei Jahre nach Produktionsanlauf der Mercedes W-126-S-Klasse beginnt die Projektierung der nächsten S-Klasse-Generation
1983: Erste Probefahrten von Versuchsträgern der S-Klasse W 140
1986: Der V12-Motor läuft auf dem Prüfstand. Im Dezember Festlegung des Designs, das bis 1988 finalisiert wird
1987: Der Prototypen-Fuhrpark umfasst bereits fast 20 Einheiten, ein Jahr später sind es 52 Fahrzeuge
1989: Der Lexus LS 400 debütiert mit dem Anspruch des besten Autos der Welt
1990: Start der Vorserienproduktion
1991: Am 4. März Pressevorstellung im Hotel Nova Hilton Genf, anschließend Publikumsweltpremiere auf dem Genfer Automobilsalon. Im April Serienanlauf von 300 SE, 400 SE, 500 SE und 600 SE, jeweils auch in Version mit langem Radstand. Im September erhöhter Reifenluftdruck für höhere Zuladung. Der 300 SD geht im Oktober in Produktion, bis September 1992 allerdings nur für den nordamerikanischen Markt
1992: Auf der Auto Show in Detroit debütieren im Januar die SEC-Coupés der Baureihe 140. Ab Februar werden 500 SEL und 600 SEL in gepanzerten Sonderschutz-Versionen angeboten. Auf dem Genfer Salon feiern die S-Klasse Coupés Europapremiere als Typen 500 SEC und 600 SEC. Außerdem zeigt Mercedes-Benz ein Flexible-Fuel-Versuchsfahrzeug für Methanolbetrieb auf Basis des 300 SE. Auf dem Pariser Salon debütieren im Oktober die Typen 300 SE 2.8 und 300 SD. Die anderen S-Klasse-Typen erhalten Detailmodifikationen. Die S-Klasse gewinnt die Titel „World Car 1992“ und „Stratospheric Ozone Protetection Award“ der US-amerikanischen Umweltbehörde als erstes FCKW-freies Automobil
1993: Im Januar Start des 300 SE 2.8. Im Juni Änderung aller Typenbezeichnungen. Der Buchstabe „S“ wird nun der dreistelligen Zahl vorangestellt, so wird der 600 SE zum S 600
1994: Serienanlauf der S 420 Coupé im Februar. Zum Genfer Salon erhält die S-Klasse eine optische Überarbeitung mit modifizierten Stoßfängern, Seitenschutzflächen, Scheinwerfern und Heckpartie. Im Oktober führt ein 500 SEL  VaMP („Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität – Pkw) erfolgreich autonome Versuchsfahrten mit bis zu 130 km/h über Autobahnen mit normalem Verkehr durch
1995: Die neue Ultraschall-Parkhilfe „Parktronic“ ist ab April gegen Aufpreis bestellbar, Serie im V12. Die Peilstäbe entfallen. Im Mai debütiert im S 600 Coupé eine elektronisch gesteuerte Fünf-Gang-Automatik. Serienmäßig ist das elektronische Fahrstabilitäts-Programm ESP. Einen Monat später wird das Navigationssystem „Auto-Pilot-System APS“ lieferbar. Auf der IAA wird der S 600 lang Pullman mit Sonderschutzausstattung vorgestellt   
1996: Im Juni erhält die S-Klasse eine neuerliche Überarbeitung mit geringfügigen Interieur- und Exterieurmodifikationen und Seitenairbags für Fahrer und Beifahrer. Eine elektronisch gesteuerte Fünf-Gang-Automatik wird Serienstandard. Neu sind außerdem ein Gurtsystem mit automatischer Höhenverstellung und Xenon-Scheinwerfer mit automatischer Leuchtweitenregelung. Der S 350 Turbodiesel wird ersetzt durch den S 300 Turbodiesel. Erstmals werden auch die Coupés überarbeitet, weitgehend analog zu den Limousinen. Im Juli Produktionsbeginn des S 600 Pullman. Das Sprachbediensystem „Linguatronic“ wird im Herbst eingeführt. Eine Weltneuheit ist die Vorstellung des Bremsassistenten „BAS“ im November
1997: Zum Genfer Salon erscheint das auf 50 Einheiten limitierte S 500 Sondermodell „Exklusiv“. An Papst Johannes Paul II wird eine Landaulet-Sonderanfertigung übergeben. Im Juni debütiert das rechnergesteuerte Serviceintervallsystem „Assyst“. Produktionsstart S 500 Pullman im September. Am 26.11. wird der 400.000. W 140 ausgeliefert – nach China
1998: Im September läuft die Produktion für fast alle Versionen aus. Nur Pullman und Sonderschutzvarianten werden weiter hergestellt. Auf dem Pariser Salon debütiert der Nachfolger W 220
2000: Im März werden Maybach-Prototypen gezeigt, die auf dem S 600 L basieren. Produktionseinstellung von W 140 Pullman und Sonderschutzversionen
2002: Präsentation der Maybach Limousinen

Fazit
Dieser Mercedes war ein Monument automobiler Macht, wie geschaffen für Konzernvorstände, Kanzler und Könige. Die bis dato größte S-Klasse mit V12-Prestige fand sich in fast allen Repräsentationsfuhrparks, während Vielfahrer sich über einen Diesel freuten. Dennoch fehlte es dem Big-Benz nicht an Feinden.
Testwertung
4.5 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-05-16

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