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Testbericht

Michael Specht/SP-X, 28. August 2017

1957: Deutschland führt Tempo 50 in geschlossenen Ortschaften ein, die Russen schießen den Satelliten Sputnik mit Hündin Leica ins All, ein VW Käfer kostet 3.790 Mark und über die noch recht leeren Straßen der jungen Republik rollen zumeist Kleinwagen, denen es an allem fehlt, was das Fahren in irgendeiner Form komfortabel machen könnte. Heizung? So etwas gibt es meist nur gegen Aufpreis. Viele Menschen sind froh, überhaupt ein Auto zu besitzen.
 
Wie anders sieht Mobilität jenseits des Atlantiks aus. Amerika schöpft aus dem Vollen, spannt über sein Land ein Netz von achtspurigen Freeways, auf denen Chrom beladene Straßenkreuzer cruisen, deren Heckflossen an die gerade aufkommenden Düsenjäger erinnern sollen und deren V8-Motoren mit Hubräumen von bis zu sechs Litern und Leistungen von über 300 PS mehr als 25 Liter verbrauchen. Sparen? Der Sprit kostet nur wenige Cent den Liter. Verzicht? Einschränkungen? Fremdworte.
 
Unter all diesen Detroiter Dickschiffen ragt ein Modell besonders heraus: der Eldorado Brougham. Nicht, was den Verbrauch oder die Motorleistung angeht, nein, dieses 2,4-Tonnen-Ungetüm galt als der luxuriöseste Cadillac aller Zeiten, das damalige Spitzenmodell des General-Motors-Konzerns. Gegen ihn verblasste selbst ein Adenauer-Mercedes, ein Bentley oder ein Rolls-Royce zum Standard-Kassenmodell.
 
Cadillac war seit langem Amerikas innovativste Automarke, wenn nicht der Welt. Schon früher machte Cadillac durch Pioniertaten von sich reden. 1912 führte es den elektrischen Anlasser ein, zwei Jahre später debütierte der erste Großserien-V8 im so genannten Typ 51, ab 1929 gab es das Synchron-Getriebe. Seit 1954 spendierte Cadillac als erster Hersteller seinen sämtlichen Modellen eine hydraulische Servolenkung. Die Krönung aber dürfte der 16-Zylindermotor gewesen sein. Vollmundig kündigte die Cadillac-Werbung 1930 „Eine Leistungsentfaltung, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat“ an. Und die Texter versprachen nicht einmal zu viel. Denn der erste je in einem Personenwagen eingebaute V16-Motor revolutionierte das Fahrerlebnis. Trotz Weltwirtschaftskrise entschieden sich bis 1937 rund 3.900 wohlhabende Käufer für diese ultimative Luxuslimousine „Series 452“.
 
Nur 400 wurden es beim 57er Eldorado Brougham. Was nicht zuletzt an seinem hohen Preis gelegen haben mag. Er kostete mit über 13.000 Dollar nahezu das Doppelte der anderen Cadillac-Modelle. Gerüchte kursierten, dass der Ladenpreis angeblich rund 10.000 Dollar unter den Herstellungskosten lag, alles nur, um den Wagen für Käufer überhaupt erschwinglich zu machen.
 
Die technischen Innovationen, die der Brougham (der Name stammt von der gleichnamigen amerikanischen Karosseriebaufirma) in sich trug, müssen zuvor die Entwickler an den Rand des Wahnsinns getrieben haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam bei Cadillac die Elektrik eine immer wichtigere Rolle. Schließlich sollten die Modelle die Kunden mit außergewöhnlichem Komfort und höchstem Luxus verwöhnten. Entsprechend viele Elektromotoren spielten Heinzelmännchen im Brougham. Sie waren unter anderem zuständig für die Fensterheber, die Ausstellfenster, die Sitzbankverstellung (inklusive Memory-Funktion!), die Kofferraum-Soft-Close-Automatik mit Fernentriegelung und für die Motorhaubenöffnung.
 
Weiterhin besaß der Brougham ein Automatik-Getriebe, an dessen Wählhebel die selbst verriegelnde Türen gekoppelt waren. Ausgelöst wurde der Kontakt, sobald die Fahrstufe D eingelegt wurde. Eigentlich seltsam, dass den Cadillac-Ingenieuren erst 1965 das erste in Höhe und Tiefe verstellbare Lenkrad eingefallen ist.
 
Neben Bremskraftverstärker, Servolenkung, selbst lösender Feststellbremse, Abblendautomatik fürs Fernlicht, Colorverglasung und Geschwindigkeitsregelanlage stand dem Brougham-Käufer bereits ein Radio mit Sendersuchlauf und elektrisch ausfahrbarer Antenne zur Verfügung. Eine auch damals schon obligatorische Klimaanlage kühlte nicht nur den Innen-, sondern auch den Kofferraum, um den Picknick-Korb bei Frische zu halten.
 
Darüber hinaus waren bei dem fahrenden Palast Dinge selbstverständlich, über die man noch heute den Kopf schütteln würde: Zigaretten-, Lippenstift-, Parfüm- und Kleenex-Spender, ein komplettes Kosmetik-Etui für die Dame sowie fünf echtsilberne Digestif-Becher im Handschuhfach. Spötter behaupteten, die Ausstattungsliste sei noch länger als das Flaggschiff selbst gewesen. Der Brougham maß stolze 5,49 Meter.
 
Dass viele der hoch komplizierten Helferlein nicht ausgereift waren, nur selten funktionierten und bald wieder verschwanden, betraf aufgrund der geringen Stückzahl nur eine winzige Klientel. Wie zum Beispiel die Luftfederung. Der Brougham war der erste Cadillac, der damit überhaupt auf den Markt kam. Sehr zum Leidwesen der Kunden. Die Ausfallrate war extrem hoch. Um die Kunden zufrieden zu stellen, wurde auf Wunsch nachträglich eine konventionelle Stahlfederung eingebaut.
 
Optisch unterschied sich der Brougham vor allem durch sein Dach aus poliertem Edelstahl. Einmalig auch: Die Fondtüren waren hinten angeschlagen (in Deutschland hieß so etwas „Selbstmördertüren“). Als B-Säule blieb ein sitzhoher Chrompfeiler stehen, dick wie ein Zaunpfahl.
Wer heute ein gepflegtes 57er-Modell ersteigern will, muss tief in die Tasche greifen. Falls überhaupt mal ein Exemplar zum Verkauf steht, werden auf Auktionen schon Preise jenseits von mehreren hunderttausend Euro aufgerufen. Und dieses Niveau wird sicher nicht das Ende sein. Der Brougham gilt in Amerika als „certified milestone car“.
 

Vorsprung durch Technik. Vor 60 Jahren hätte diesen Audi-Slogan Cadillac für sich nutzen können. Denn was die amerikanische Luxusmarke an Hightech in ihren 57er Eldorado Brougham gepackt hat, wäre reif fürs Guinnessbuch der Rekorde gewesen.

Fazit
Vorsprung durch Technik. Vor 60 Jahren hätte diesen Audi-Slogan Cadillac für sich nutzen können. Denn was die amerikanische Luxusmarke an Hightech in ihren 57er Eldorado Brougham gepackt hat, wäre reif fürs Guinnessbuch der Rekorde gewesen.
Testwertung
3.5 von 5

Quelle: Autoplenum, 2017-08-28

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