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Testbericht

25. Juli 2008
Groß Dölln, 25. Juli 2008 - Jetzt wird's ernst: PDK-Hebel auf D und per Knopfdruck den "Sport Plus"-Modus für extra kurze Schaltvorgänge aktivieren. Dann den linken Fuß auf die Bremse, der rechte fixiert das Gaspedal am Bodenblech. Der 3,8-Liter-Boxermotor jubelt hoch, sein herrlich mechanischer Sound stellt mir die Nackenhaare auf. Im Zentraldisplay am Instrumentenbrett blitzt die Meldung "Launch Control aktiv", also: ready for take-off! Ich nehme den Fuß von der Bremse. Der Porsche krallt sich mit allen vier Rädern in den regennassen Beton der ehemaligen Sowjet-Startbahn des Michelin Driving Centers, schießt förmlich nach vorne und baut Speed auf. Nach 4,3 Sekunden fällt die 100-km/h-Marke. Nach 15,3 Sekunden bin ich auf Tempo 200 und der 385-PS-Flat-Six an der Hinterachse schiebt mich noch immer mit Nachdruck Richtung Horizont. Gesichtsoperation inklusive Links und rechts neben der flachen Schnauze spritzen jetzt hohe Gischtfontänen auf, der Porsche scheint auf seiner eigenen Bugwelle zu reiten. Zu spüren ist das aber ebenso wenig wie der kräftige Seitenwind: Das Coupé bleibt stoisch in der Spur, verlangt höchstens nach minimalen Lenkkorrekturen. Keine Zeit, eine mentale Notiz über die exzellente Stabilität bei hoher Geschwindigkeit (und Nässe!) zu machen: Mit 263,7 Stundenkilometer fliege ich durch die Lichtschranke und vorbei an der Bremsmarkierung. Mit aller Kraft steige ich aufs linke Pedal und erlebe, warum Porsche-Käufer in jedem Fall mindestens 8.032,50 Euro mehr für ihren Elfer bezahlen sollten. Soviel nämlich kostet die Keramikbremse "PCCB", die im Testwagen für brutale Verzögerung sorgt. Die Reifen jaulen auf und das Auto tanzt ganz leicht nach links und rechts. Mit ein wenig Input am Lenkrad halte ich aber auch hier den Wagen problemlos in der Spur, hänge im Sicherheitsgurt und hoffe, dass mein Gesicht auf meinem Schädel bleibt. Sekunden später steht der Wagen. "Und? War das mal geil?" freut sich der Porsche-Instruktor auf dem Beifahrersitz. Ich grinse breit zurück und beantworte die rhetorische Frage: "Das machen wir gleich nochmal." War gut, ist gut, bleibt gut Bei der Renovierung des Evergreens 911 entwickelt Porsche eine ähnlich hohe Dynamik wie das Fahrzeug selbst. Den Anfang machten im Juni 2008 die heckgetriebenen Carrera-2-Modelle. Einen guten Monat später folgen nun die Carrera-4-Versionen mit neu entwickeltem Allradantrieb. Weiter geht's noch in diesem Jahr mit den aufgemöbelten Targa-Modellen, der Turbo hingegen wird erst 2009 auf den neuesten Stand gebracht. Selbst mit dem Wissen um das Facelift muss ich beim Erstkontakt mit dem neuen Allrad-Elfer ganz genau hinsehen, um die Unterschiede zu erkennen. Was bei vielen anderen Herstellern einer Enttäuschung gleichkäme, registriere ich beim Porsche mit innerlichem Jubel: Hurra! Der 911 ist noch immer ein 911.

Mehr Bumms, weniger Durst Der Vollständigkeit halber: Der modellgepflegte Carrera ist an den schmaleren, geschwungenen Heckleuchten, den neu gestalteten Lufteinlässen in der Front und den Tagfahrlicht-LED-Streifen unter den serienmäßigen Xenon-Scheinwerfern zu erkennen. Tief greifender sind die Änderungen unterm Blech. Genau wie im Carrera 2 kommt auch beim Allradler eine neue Motorengeneration zum Einsatz - erstmals setzt der 911 auf die Vorteile der Benzindirekteinspritzung. Diese Technik erlaubt es den Stuttgartern, die Leistung der 3,6- und 3,8-Liter-Boxer weiter zu steigern und gleichzeitig Verbrauch und Emissionen zu reduzieren. In Zahlen: Der Carrera 4S leistet mit 385 nun 30 PS mehr als bisher, das Drehmoment steigt von 400 auf 420 Newtonmeter. Der Verbrauch sinkt beim Coupé mit Automatikgetriebe von 11,9 auf 10,5 Liter pro 100 Kilometer. Perfekte Schaltvorgänge An dieser Reduktion nicht ganz unbeteiligt dürfte auch die Umstellung bei der Automatik sein. Den bisher verbauten Wandler namens Tiptronic S wirft Porsche nämlich über Bord und bietet erstmals in einem Serienwagen ein Doppelkupplungsgetriebe an. Dieser Automat heißt PDK und passt hervorragend zum sportlichen Dauerbrenner aus Zuffenhausen. Im Normal-Modus schaltet das Getriebe schnell und butterweich. Auf "Sport Plus"-Stellung hingegen schießt die Automatik die Gänge noch schneller und mit spürbarem Ruck hinein. Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Der Porsche mit PDK beherrscht beides auf Knopfdruck. Im Sparmodus Im Alltag hilft das PDK mit seinem zivilen Schaltprogramm bei der Verbrauchsoptimierung: Wer den Gasfuß zügelt, kann etwa schon bei 60 km/h im sechsten Gang durch die Stadt bummeln. Praxisbeispiel: Bei meiner Rückfahrt ins Hotel musste ich gezwungenermaßen das Sparpotenzial austesten, da ich den Tankinhalt des 911 auf der Rennstrecke größtenteils in Fahrspaß umgewandelt hatte. Mit dem automatischen Schaltprogramm waren die 35 Kilometer Landstraße allerdings trotzdem kein Problem: Der Porsche genehmigte sich gerade mal 9,8 Liter pro 100 Kilometer. Für einen Vollblutsportwagen mit 385 PS ein durchaus respektabler Wert.

(Fast) alles perfekt Auch hinterm Steuer fallen die Änderungen nicht sofort ins Auge. In der Mittelkonsole sitzt ein neu entwickelten Infotainment-System, das auf Wunsch mit Festplattennavigation und Dolby-5.1-Sound aufgerüstet werden kann. Davor ragt prominent der Wählhebel des PDK empor. Ebenfalls neu ist das Dreispeichen-Lenkrad mit den silbrig glänzenden Schaltwippen. Beide Teile liefern den einzig ernsthaften Grund zur Klage. Das Lederlenkrad ist zwar formal durchaus gelungen und liegt exzellent in der Hand. Der Mittelteil allerdings besteht aus wenig wertig wirkendem Hartplastik. Das Problem mit der Wippe Der zweite, ungleich wichtigere, Meckerpunkt betrifft die beiden Wippen. Üblicherweise wechselt man die Gänge in Automatik-Sportwagen, indem man an den Paddeln zieht - rechts hochschalten, links runter. Im 911 hingegen läuft's anders: Ein Druck auf eine der beiden Wippen legt den nächsten Gang ein, ein Zug schaltet zurück. Das passt erstens schlecht in dynamische Fahrsituationen: Beim harten Anbremsen federt das Auto vorne ein und ich werde aus dem Sitz gehoben, also nach vorne gedrückt. Trotzdem muss ich zum Herunterschalten die silbernen Lenkradknöpfe nach hinten ziehen. Intuitiv ist was anderes. Das wirklich Unverständliche ist aber weniger Porsches Absicht, ein im Motorsport und auf der Straße bewährtes System neu erfinden zu wollen, als vielmehr die wenig praxisnahe Umsetzung: Beim schnellen Kurbeln am Lenkrad etwa braucht es nicht unbedingt einen Grobmotoriker, um versehentlich die Wippen mit Handballen oder Fingerspitzen auszulösen. Schalen für die Rennstrecke Der Rest des Cockpits ist Porsche-typisch perfekt: Schalter und Hebel liegen gut zur Hand, die Materialien sind edel, die Verarbeitung vorbildlich. Die Sitzposition passt ebenfalls wie maßgeschneidert. Die im Testwagen montierten Rennschalen sind aus dem GT2 bekannt und fixieren mich felsenfest hinterm Volant. In Kombination mit dem straffen, adaptiven Sportfahrwerk und auf schlechten Straßen sind die Racing-Sitze für 2.372,50 Euro allerdings nicht gerade ideal. Auf der Rundstrecke hingegen gibt's nichts Besseres: Dank extrem hoher und steifer Seitenwangen bieten die Schalen aus leichter Kohlefaser und GfK ein Maximum an Halt.

Grip ohne Ende Und den habe ich auf dem ehemaligen Sowjetflugplatz in der Schorfheide auch bitter nötig: Der neue, elektronisch überwachte Allradantrieb inklusive mechanischem Sperrdifferenzial an der Hinterachse sorgt zusammen mit den extrabreiten Pneus (235er vorn, 305er hinten) für brutalen Grip - selbst auf nasser Fahrbahn. Das System stammt aus dem 911 Turbo und löst den alten Carrera-4-Antriebsstrang mit Visco-Lamellenkupplung ab. Der Hersteller nennt die neue Lösung "Porsche Traction Management" oder kurz PTM. Der Vorteil: PTM reagiert schneller, als es der Mensch mitkriegt. Das bedeutet, dass Antriebsschlupf durch vorausschauendes Regeln verhindert wird, also etwa bevor der Fahrer überhaupt per Gaspedal Motorleistung abrufen kann. Auf der Strecke schlägt sich dies in ausgesprochen neutralem Gebaren nieder. Droht etwa in der Kurve Schlupf an der Hinterachse und somit ein Ausbrechen des Hecks, schiebt die Elektronik einfach blitzschnell Antriebsmoment auf die Vorderräder. Das Resultat ist eine leichte Untersteuerneigung. Früh runter, früh drauf Wer sich auf die grundsätzliche Arbeitsweise des Allrad-Elfers einstellt, kann ihn mit wahnwitziger Geschwindigkeit über den Parcours jagen. Es reicht, vor der Kurve etwas früher zu bremsen und den Scheitelpunkt halbwegs sauber zu treffen. Dann kann ich bereits mitten in der Kurve wieder voll aufs Gas latschen, wohl wissend, dass mich die brutale Traktion aus der Kurve herauskatapultiert und das Heck ruhig bleibt. Trotz der hohen Motorleistung bleibt der Schwabe dabei stets gutmütig: Man muss es schon arg übertreiben, um die Hinterhand zum Schwänzeln oder gar zum Ausbrechen zu bringen. Das allerdings heißt nicht, dass der Allrad-Porsche langweilig wäre: Grundsätzlich ist und bleibt seine Auslegung neutral bis hecklastig und wer es darauf anlegt, kann selbstverständlich den knackigen Elfer-Hintern heraushängen lassen. Unterstützt wird der Fahrer bei solchen Aktionen von der präzisen, perfekt eingestellten Lenkung, einem sanft regelnden, auf Sport getrimmten ESP und natürlich von der absolut standfesten Keramikbremse. Kein erschwinglicher Traumwagen Wer jetzt schon in Gedanken das Scheckbuch zückt, sei gewarnt: Im Zuge des Modellwechsels erhöht Porsche die Preise. Für die neuen Carrera-4-Modelle müssen jeweils rund 2.000 Euro mehr nach Zuffenhausen überwiesen werden. Bei einem Grundpreis von 104.035 Euro für den neuen 4S inklusive PDK ist das aber sicherlich noch zu verschmerzen. Und natürlich ist diese Zahl nur ein Richtwert: Die Aufpreisliste ist ellenlang und detailliert. Selbst Kleinigkeiten wie lackierte Scheinwerferwaschdüsen für 155 Euro sind lieferbar und werden offensichtlich von der solventen Kundschaft geordert. Gute Grundversorgung Erfreulicherweise ist auch ein "nackter" Carrera 4 relativ gut ausgestattet: Bi-Xenonscheinwerfer, das neue Multimedia-System inklusive Touchscreen (aber ohne Navigations- und Telefon-Module) und die Klimaautomatik sind serienmäßig mit an Bord. Beim 4S gibt's auch das aktive Fahrwerk PASM inklusive 10 Millimeter Tieferlegung und große 19-Zoll-Felgen ab Werk. Ein Sonderangebot ist der Porsche deshalb natürlich nicht: Die - heckgetriebene - Corvette C6 mit 437 PS bringt ähnliche Fahrleistungen und ist im Vergleich spottbillig: Gerade 68.890 Euro kostet die V8-Ikone aus Detroit mit Wandlerautomatik. Bei den Allradsportlern lauert der Audi R8 auf den 911. Inklusive Steptronic kostet der Bayer allerdings 113.800 Euro, und das bei praktisch identischer Performance.
Technische Daten
Antrieb:Allrad
Anzahl Gänge:7
Getriebe:Doppelkupplungsgetriebe
Motor Bauart:Otto-Boxermotor, Direkteinspritzung
Hubraum:3.800
Anzahl Ventile:4
Anzahl Zylinder:6
Leistung:283 kW (385 PS) bei UPM
Drehmoment:420 Nm bei 4.400 UPM
Preis
Neupreis: 100.525 € (Stand: Juli 2008)
Fazit
Der König ist tot, es lebe der König! Beim aufgefrischten 911 hat Porsche fast alles richtig gemacht. Das Design wurde, aus verständlichen Gründen, nur behutsam verändert, und mit dem PDK hat der 911 endlich die dynamische Automatik, die er verdient. Die Motoren sind kräftiger und gleichzeitig sparsamer. Unten herum mögen sie ein wenig an Stimme eingebüßt haben, ab 3.000 Touren allerdings röhrt auch im neuen Elfer feinster Porsche-Sound durchs Cockpit. Alles bestens also, wenn da nicht die Sache mit den unglücklich entworfenen Schaltwippen wäre. Ob vielleicht doch etwas an dem Gerücht dran ist, nach dem Vorstandschef Wiedeking reguläre Paddles ächtete, da in einem Porsche nichts so sein dürfe wie in einem Ferrari? Tatsache bleibt, dass die Lösung mit den symmetrischen Schaltern in einem solch fahraktiven Auto weit vom Ideal entfernt ist. Für viele Porsche-Fahrer ist dies sicher nur ein Schönheitsfehler. Track-Day-Enthusiasten hingegen dürften sich ärgern, denn bis auf die beiden Wippen ist das ansonsten exzellente PDK das ideale Getriebe für den Rennstreckeneinsatz.
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: auto-news, 2008-07-25

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