12Gebrauchtwagen.de12Neuwagen.de

Unsere Partnerseiten:

Autoplenum, 2010-07-14

Mercedes 300 SEL 6.8 AMG trifft S 63 AMG - Rote Schweinerei

Testbericht

Stefan Grundhoff

Beide sind rot, laut, gefährlich und kommen an sich aus gutem Hause.
Weder der Oldie Mercedes 300 SEL 6.8 AMG noch sein Urenkel S 63 AMG
wurden auf der Rennstrecke geboren – doch genau hier begeistern sie wie
kaum ein anderes Pärchen.

Anfang der 70er Jahre war die Mercedes S-Klasse das Maß der automobilen
Dinge. Das hat sich für viele Kunden bis heute nicht geändert. Die S-Klasse
ist distinguiert, edel, schick und elitär. Doch wer will, kann mit dem zwei
Tonnen schweren Schlachtschiff selbst auf der Rennpiste seinen Spaß
haben; besonders beim Treffen der Generationen S 63 AMG und 300 SEL
6.8 AMG. Der 6.8er schrieb beim 24-h-Rennen von Spa 1971 Geschichte –
als die „rote Sau“. Niemand hatte der Mercedes S-Klasse seinerzeit eine
ernsthafte Chance auf der anspruchsvollen Rennstrecke im belgischen
Hügelland gegeben. Doch das Fahrerdoppel Hans Heyer und Clemens
Schickentanz holte aus der an sich 250 PS starken Luxuslimousine im
Renntrimm bei einem der schwersten Langstreckenrennen das Beste raus.
Das reichte gegen die übermächtige Sportwagenarmada für einen
grandiosen zweiten Platz und legte den Grundstein für das Image des
Mercedes-Haustuners AMG.

Längst ist AMG der verlängerte Sportwagenarm von Mercedes Benz. Wenn
ein Auto mit dem Stern besonders sportlich sein soll, dann trägt es die drei
Buchstaben AMG am Heck. Fast 40 Jahre nach dem Spa-Erfolg haben die
AMG-Strategen die „rote Sau“, wie der Mercedes 300 SEL 6,8 seinerzeit
wenig charmant genannt wurde, als Einzelstück wiederbelebt. Lackiert im
typischen knallrot mit Überrollkäfig, das alten Werbestickern und breiten
Schlappen. Enge Sportstühle und jede Menge Tatendrang sind
selbstverständlich. Unter der Motorhaube des S 63 AMG arbeitet der neu
entwickelte Achtzylinder mit doppelter Turboaufladung. Mit
entsprechendem Performance-Paket leistet der 5,5 Liter große Achtzylinder
571 PS und ein gigantisches Drehmoment von 900 Nm.

Auf der Hightech-Rennstrecke von Le Castellet zeigt die rote Sau der
Neuzeit in identischem Outfit wie der Spurenleger ihr ganzes Können.
Bereits in der ersten Kurvenkombination steht die gedopte Luxuslimousine
fast quer – 900 Nm lassen sich am Kurvenausgang eben nur mit sanftem
Gasfuß in grandiosen Vortrieb umwandeln. Der Mercedes S 63 AMG schiebt
an, wie ein wilder Bulle. Die Sportautomatik mit nasser Anfahrkupplung
lässt die sieben Schaltstufen dabei nur lässig durchrutschen. Der
aufgeladene Achtzylinder dreht bissig bis 7.000 Touren, doch man schaltet
manuell besser bereits bei knapp unter 6.000 U/min, dann gibt es das volle
Drehmoment. Die Bremsen krallen sich in die gigantischen Bremsscheiben,
die breiten Pellen saugen den griffigen Asphalt förmlich in sich auf. Allein
die Lenkung könnte etwas direkter und bissiger sein. Zudem kann der
Gigant aus Sindelfingen auch als Rennversion seine mehr als zwei Tonnen
Leergewicht nicht überspielen.

Doch sonst fühlt es sich fast an wie damals - 1971. Auch der 250 PS
starke 300 SEL 6,3, der durch Sportgetriebe und einen halben Liter
Hubraumerweiterung satte 295 KW / 400 PS leistete, fuhr der Konkurrenz
nicht nur auf der Ardennen-Achterbahn in Spa um die Ohren. Auch heute
noch spült einem der Sound des Achtzylinders Gänsehaut auf den
Unterarm und schon beim Anblick der ungewöhnlich sportlich verkleideten
Luxuskarosse verneigt man sich in Ehrfurcht. Mercedes hat den roten
Probanden aus fast vergangener Zeit neu aufgebaut. Der originale Renner
wurde seinerzeit an die Firma Matra verkauft, die mit einer
Sonderkonstruktion am Fahrzeug Flugzeugreifen testete, die sie aus der
verlängerten Rennkarosserie auf Rollbahnen ablassen konnte. Irgendwann
wurde die echte rote Sau verschrottet und nur die sehenswerte Replik gibt
noch heute sicheres Zeugnis von ihrem Können. Der betonerschütternde
Sound muss sich dabei hinter dem des Enkels nicht verstecken. Wer
schnell unterwegs sein will, muss in die automatisierten Schaltvorgänge
jedoch manuell eingreifen; sonst geht nicht viel.

Doch während seiner Rennkarriere war es weniger das Getriebe, als
vielmehr die Reifen, die schon einmal zickten. Sind die ellenbogenbreiten
Hinterreifen erst einmal warm, gibt es für den aufgemotzten 300er kein
Halten mehr. Dabei muss man sich an die vergleichsweise indirekte
Lenkung und die leichten Wankbewegungen erst einmal gewöhnen. Dafür
ist der 6.8er auch im Grenzbereich gut zu beherrschen und es besteht kein
Zweifel daran, dass jeder Kilometer auf der Piste vom Spa ein Vergnügen
gewesen sein muss. So grandios der neue Mercedes S 63 AMG auch ist –
daran kann er kaum kratzen. Daran ändern auch 571 PS, 280 km/h Spitze
und 0 auf 100 km/h in 4,6 Sekunden wenig. Immerhin hat man der
Straßenversion das Sparen beigebracht. Der neue S 63 AMG soll gerade
einmal 10,5 Liter Super auf 100 Kilometern verbrauchen. Wäre doch
wieder einmal etwas für ein Langstreckenrennen.

Quelle: Autoplenum, 2010-07-14