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Testbericht

Benjamin Bessinger/SP-X, 17. November 2016

Im Saal die berühmtesten Supersportwagen der letzten 70 Jahre, in der Stadt die reichsten Sammler und im Umland die schönsten Straßen der Welt – einen besseren Platz als das Petersen Museum in Los Angeles hätte Jaguar für die Weltpremiere des XKSS nicht wählen können. Schließlich gilt die Straßenversion des legendären D-Type als einer der ersten Supersportwagen überhaupt und war von Anfang an vor allem für den US-Markt gedacht. Die Premiere am Rande der LA Autoshow hatte deshalb eigentlich nur einen klitzekleinen Schönheitsfehler: Sie war 60 Jahre zu spät. Denn auf den Markt gekommen ist der offene Zweisitzer schon 1957.
 
Das Auto war vor allem ein Kind des Marketings. Denn der XKSS wurde damals nur gebaut, um Kapital aus den drei aufeinander folgenden Siegen des D-Types beim 24 Stunden-Rennen von Le Mans zu schlagen. Deshalb haben die Briten den Siegerwagen so weiterentwickelt, dass er eine Straßenzulassung erhalten konnte. Zwar fiel diesem Umbau die spektakuläre Finne auf dem Heck des Rennwagens zum Opfer, es gab plötzlich eine zweite Tür, neue Scheinwerfer und sogar Stoßstangen. Doch das Design mit der stark geschwungenen Motorhaube war noch immer spektakulär und die Fahrleistungen waren eine Sensation.
 
Dass der Wagen jetzt noch einmal eine Weltpremiere feiert, liegt an einem großen Unglück und daran, dass Jaguar die Geschichte nun kurzerhand korrigiert hat. Das Unglück war ein Feuer in der Fabrik Browns Lane, bei dem neun von ohnehin nur 25 geplanten D-Type kurz vor der Auslieferung ein Raub der Flammen wurden. Und die Korrektur heißt „Recreation“. So nennt die neu gegründete Klassiksparte von Jaguar den liebevollen Neu- und Nachbau der fehlenden neun Exemplare, der nach dem gleichen Muster entstehen wie vor zwei Jahren schon der so genannte Lightweight E-Type.
 
Der Oldtimer strahlt zwar deshalb beim Debüt am Rande der LA Autoshow nicht ohne Grund, als käme er frisch aus der Fabrik. Doch es ist und bleibt ein altes Auto, das nach alten Plänen mit alten Methoden gebaut worden ist. „Wir haben dafür vier Autos monatelang gescannt, das digitale Abbild manuell wieder individualisiert und in seine Zeit zurückgesetzt, jede einzelne Niete gezählt und jede Fuge genau so gesetzt wie vor 60 Jahren“, sagt Technik-Chef Kev Riches. Und selbst die Marotten des Originals haben sie ins Hier und Heute übernommen: „Der XKSS Baujahr 2016 lässt sich deshalb genauso schlecht schalten wie einer von 1957 oder der D-Type vor ihm“, sagt Riches und ist stolz darauf, dass seine Mannschaft der Versuchung einer moderneren Lösung widerstanden haben. Nur wenn es um die Sicherheit geht, haben sie ein paar Kompromisse gemacht und zum Beispiel einen modernen Tank eingebaut.
 
Und der wollüstig gewölbten Haube steckt damals wie heute ein 3,4 Liter großer Reihensechszylinder, der mit seine 262 PS mühelos auf jene 230 km/h kommen dürfte, mit denen Männer wie Steve McQueen seinerzeit durch Kalifornien gerast sind.
 
Kein Wunder also, dass Kev Riches, der Technik-Chef der Special Vehicle Operations, fast ein bisschen zittrig war, als er vor ein paar Tagen just dort zur Jungfernfahrt aufgebrochen ist, wo auch Steve McQueen unterwegs war: In den Hügeln hinter Hollywood auf dem legendären Mulholland Drive und im Topanga Canyon hat er den 3,4 Liter großen Sechser zum ersten Mal ausgedreht bis der bollernde Sound und sein Widerhall von den engen Felswänden ihm fast die Sinne geraubt haben. Und als er auf dem Pacific Coast Highway in der frühen Morgensonne den Weg zurück angetreten hat, war die Versuchung groß, einfach weiter zu fahren und den Wagen nie wieder zurück zu bringen. Mexiko ist von hier schließlich nicht weit und noch ist die Grenze ja vergleichsweise durchlässig.
 
Doch Riches ist viel zu pflichtbewusst, als dass er ernsthaft durchbrennen würde. Und viel Verständnis dürfte er von den handverlesenen Kunden auch nicht erwarten. Denn es gibt zwischen den echten Originalen und den originalen Nachbauten eine weitere Parallele: Auch für die fabrikneuen Oldtimer müssen die Kunden tief in die Tasche greifen und mindestens eine Million Pfund anlegen. Wenn man bedenkt, dass für die ersten 16 XKSS mittlerweile allerdings ein Wert von 30 Millionen Dollar geschätzt wird, ist das wahrscheinlich noch immer ein Schnäppchen.
 
Dem Erfolg des Projekts dürfte der Preis ohnehin keinen Abbruch tun. Nachdem Jaguar bereits vor zwei Jahren mit einer ähnlichen Geschichte sechs originalgetreue Lightweight-Versionen des E-Type aufgelegt und binnen 24 Stunden verkauft hatte, waren auch die XKSS schnell vergriffen.
 
Mit solchen fabrikneuen Oldtimern hat Jaguar zwar eine geschickte Marktlücke gefunden, aus der sich Konkurrenten mit einer längeren Historie und einer größeren Klassikabteilung bislang heraus gehalten haben. Doch bewegen sich die Briten damit auch auf einem schmalen Grat, sagt Dietrich Hatlapa, der von London aus die Klassikszene beobachtet und den Oldtimer-Preisindex Hagi erstellt. Im Prinzip hat er mit solchen Repliken keine Probleme, weil sie originalgetreu und exakt nachgebaut werden. „Nur sind es eben trotzdem keine Originale und sollten auch nicht als solche ausgegeben werden“, mahnt der Experte.
 
Dafür allerdings gibt es bei diesem Deal in seinen Augen nur Gewinner: Jaguar, weil die Briten für jeden Nachbau eine horrende Summe einstreichen. Und die Kunden, weil sie nur eine Million Pfund für ein Auto bezahlen müssen, das eigentlich viel mehr wert ist. Denn wenn mal eines der 16 übrigens alle noch erhaltenen originalen Originale den Besitzer wechselt, dann immer im zweistelligen Millionenbereich, sagt Hatlapa. Und ein XKSS, der zwischendurch mal Steve McQueen gehört hat, wird sogar auf 30 Millionen Dollar taxiert. Natürlich seien die neuen Originale nicht ganz so viel wert wie die alten, schränkt Hatlapa ein. Doch als Klassiker ab Werk sei bei derart geringen Stückzahlen und einer so ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte der Wertzuwachs fast programmiert: „Geld verlieren wird man damit wahrscheinlich nicht.“
 
Aber auch wenn Hatlapa vor allem Analyst ist und deshalb in Zahlen denkt, gibt es für ihn bei dieser Rarität noch einen ganz anderen Reiz - das Fahren. Kein 70 Jahre altes Auto kann so gut in Schuss sein wie ein Neuwagen, selbst wenn die Technik identisch ist, sagt der Experte: „Wen stört es da, ob die Fahrgestellnummer neu oder alt ist?“
 
Nach 10 000 Stunden Handarbeit strahlt der XKSS wie am ersten Tag und das Feuer in Browns Lane ist fast vergessen. Jetzt muss das Team um Klassik-Chef Tim Hannig die nächsten Autos nur genauso gut hinbekommen. Doch während die Mechaniker Bleche biegen, Motoren gießen, Ritzel feilen und fast 2.000 Nieten durch die Karosserie jagen und die Architekten nebenbei das neue Klassik-Werk einrichten, das sich Jaguar und Land Rover fast zehn Millionen Euro kosten lassen, um dort Kundenfahrzeuge zu restaurieren oder Projekte wie den XKSS umzusetzen, rattert bei den Schreibtischtätern der Kopf. Denn schon jetzt suchen sie in den Analen nach den nächsten Lücken, die sie mit solchen Projekten füllen können.

Eigentlich hätten es 25 XKSS werden sollen, mit denen Jaguar1957 den legendären D-Type in den Ruhestand verabschieden wollte. Doch dann wurden neun Autos ein Raub der Flammen. 60 Jahre korrigieren die Briten jetzt die Geschichte und bauen die fehlenden Exemplare als fabrikneue Oldtimer noch einmal nach. Nach 10 000 Stunden Handarbeit ist der erste jetzt gerade fertig geworden und fährt wie Phönix mit Vollgas aus der Asche.

Fazit
Eigentlich hätten es 25 XKSS werden sollen, mit denen Jaguar1957 den legendären D-Type in den Ruhestand verabschieden wollte. Doch dann wurden neun Autos ein Raub der Flammen. 60 Jahre korrigieren die Briten jetzt die Geschichte und bauen die fehlenden Exemplare als fabrikneue Oldtimer noch einmal nach. Nach 10 000 Stunden Handarbeit ist der erste jetzt gerade fertig geworden und fährt wie Phönix mit Vollgas aus der Asche.
Testwertung
5.0 von 5

Quelle: Autoplenum, 2016-11-17

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