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Testbericht

23. Februar 2016
Marseille (Frankreich), 24. Februar 2016 - Niemand schockt seine treuen Fans derzeit mehr als Porsche. Und niemand gibt den traditionell alles wissenden Autojournalisten derzeit mehr Stoff für das ewig junge "Früher war alles besser". Kaum hat sich der Zuffenhausen-Purist nach rückschlagreichen Jahren mit Diesel-SUVs, Hybrid-Limousinen und aufgeladenen 911 Carreras aus der Enthusiasten-Reha gekämpft, dürfte ihn - zumindest der landläufigen Experten-Meinung nach - mit den jüngsten Änderungen am neuen Boxster endgültig der Schlag treffen. Denn pünktlich zum 20. Geburtstag erhält Porsches liebgewonnene Fahrmaschine eine neue Motorenkombination, deren Verpöntheit unter Sportwagenfans quasi kaum noch zu steigern ist. Die Rede ist vom Vierzylinder-Turbo. Vier. Zylinder. Turbo. Hilfe. Mit drei "i". Entsprechend gespannt war ich auf das erste Mal Mitfahren (und vor allem auch Mithören). Ob Sie einen Boxster künftig nur noch gebraucht kaufen können oder ob das alles - wie übrigens auch beim 911 Carrera - womöglich doch gar nicht so verkehrt ist, erfahren Sie jetzt. Zum Glück gibt's die Vergangenheit Zuerst sollten wir uns jedoch um die Basics kümmern. Um den Vierzylinder-Einschlag ein wenig abzufedern, beschwört Porsche unentwegt die eigene Vierzylinder-Vergangenheit. Mit einem Vierzylinder hat im 356 schließlich alles begonnen. Zudem klebt man dem neuen Boxster marketingtechnisch äußerst geschickt eine "718" vors Namensschild. Der 718 gewann in den 50er- und 60er-Jahren quasi alles, was es an Rennen zu gewinnen gab (inklusive Le Mans) und das glücklicherweise mit einem Vierzylinder-Boxer. Und als würde man die fehlende Männlichkeit zweier abhandengekommener Zylinder auch optisch kompensieren wollen, hat man der Baureihe 982 sichtlich mehr Maskulinität, Härte und Sachlichkeit ins Blech gebügelt. Auch wenn er an sich kein neues Auto ist, hat man bis auf Haube, Dach und Heckdeckel jedes Karosserieteil geändert. Innen gibt es neu geformte Lüftungsdüsen, das Lenkrad vom 918 Spyder inklusive Modus-Rädchen sowie das stark verbesserte PCM-Navi-Infotainmentsystem. Wankt noch weniger Das Fahrwerk musste ebenfalls umfassend dran glauben. Optimierte Stoßdämpfer, eine steifere Hinterachse, breitere Hinterräder sowie straffere Federn und Stabilisatoren machen selbst vom Beifahrersitz aus recht schnell deutlich, dass es hier spürbar weniger wankt als vorher. Auch die aus dem 911 Turbo entliehene, um zehn Prozent direktere Lenkung (mit Boxster-eigener Abstimmung) scheint das Auto noch unmittelbarer von einer Seite auf die andere zu reißen. Wollen Sie mehr Spreizung zwischen Komfort und Halligalli, kriegen Sie künftig gleich zwei adaptive PASM-Fahrwerke. Eines mit zehn Millimeter Tieferlegung und eines - allerdings nur für den Boxster S - mit 20 Millimeter Südneigung. Zudem bekommt der 718 Boxster bessere Bremsen implantiert. Im normalen Boxster verzögert künftig die Anlage aus dem alten Boxster S. Der Boxster S erhält die Stopper aus dem 911 Carrera.
Gelungener ESP-Sport-Modus Neu beim 718 Boxster ist auch der aus den 911-Facelift-Modellen bekannte ESP-Sportmodus. Mein Chauffeur, Ingenieur Philipp Peglau, ist für die Applikation verantwortlich und auch wenn er sagt, der ESP-Sportmodus sei kein Driftmode, beweist er auf der Michelin-Teststrecke doch ziemlich genau das Gegenteil. Das heißt: Selbst mit Rettungsschirm ist richtig viel Bewegung im Heck möglich und das Einregeln der Elektronik erfolgt bemerkenswert sanft und harmonisch. Viel mehr Druck Nun sollten wir aber endlich zu dem Punkt kommen, an dem sich die Geister noch gehörig eine auf den Deckel geben, bevor sie sich scheiden. Vergessen Sie einfach alles, was Sie jemals über Porsche-Motoren gehört haben, denn das hier gab es so noch nie. Na gut, im Porsche 912 gab es bis Ende der 60er Vierzylinder-Boxer. Und Turbos gibt es bei Porsche derzeit mehr denn je. Aber einen Vierzylinder-Boxer-Turbo suchte man in Zuffenhausen bisher vergebens. Das neue Triebwerk teilt sich etwa 60 Prozent der Idee mit dem Dreiliter-Biturbo aus dem neuen Elfer. Im 718 Boxster gibt es 2,0 Liter Hubraum, 300 PS und 380 Newtonmeter (35 PS und eklatante 100 Newtonmeter mehr als bisher), im 718 Boxster S sind es 2,5 Liter Hubraum, 350 PS und 420 Newtonmeter (plus 35 PS und 60 Newtonmeter). Geschaltet wird wie bisher per Sechsgang-Getriebe oder Siebengang-PDK. Bis auf die größere Bohrung und den Turbo sind die beiden Motoren im Prinzip identisch. Im Boxster kommt nämlich ein Wastegate-Lader zum Einsatz, im Boxster S ein VTG-Lader (Variable Turbinengeometrie) mit Wastegate wie im 911 Turbo. Letzterer soll das Dilemma zwischen "unten wuchtig" und "oben noch halbwegs gierig" noch ein bissschen besser in den Griff bekommen. Der Hauptgrund für all die Aufregung ist wie immer die Umwelt. Trotz der deutlich gesteigerten Leistung sollen die neuen Triebwerke bis zu 13 Prozent weniger verbrauchen. Im Bestfall, sprich mit Doppelkupplungsgetriebe, sinkt der Normdurst im Boxster um 0,7 auf 6,9 Liter, der Boxster S verbraucht mit 7,3 nun 0,9 Liter weniger. Besser ansprechen Technisch ist die Vierzylinderisierung des Boxster wie erwartet extrem aufwendig, daher will ich hier nur die "dicken Hunde" anreißen: Um ein Porsche-würdiges Ansprechverhalten zu erreichen, setzen die Ingenieure unter anderem auf eine Art Vorspannung des Turbos im Teillastbereich (Bypass-Ventil wird geschlossen, Zündwinkel wird zurückgenommen, Drosselklappe bleibt offen) sowie die im 911 Turbo Facelift eingeführte Dynamic Boost Funktion, die bei Lastwechseln - wie dem Gaslupfen vor der Kurve - den Ladedruck kostant hält (Benzineinspritzung setzt aus, aber Drosselklappe bleibt offen). Außerdem kommt der 718-Fahrer, wenn er denn das Sport-Chrono-Paket sowie das PDK-Getriebe angekreuzt hat, nun auch in den Genuss eines kleinen Knöpfleins am Lenkrad, das Motor und Getriebe für 20 Sekunden auf Tabula Rasa stellt. Für aussichtslose … äh ... souveränere Überholmanöver oder den kleinen Powerkick zwischendurch.
Kluge Kühlung Das kapitalste Problem zwischen 718 Boxster und Turboaufladung war jedoch die Kühlung. Der Freiraum in der Boxster-Mitte ist nämlich gar nicht mal so groß. Die Peripherie eines Turbomotors ist es trotz zweier Zylinder weniger allerdings schon. Also entschied man sich für eine indirekte Ladeluftkühlung mit Wärmetauscher über dem Motor. Die indirekte Wasserkühlung sei bei längeren Vollgasfahrten womöglich nicht ganz optimal, halte in den meisten Situationen die Temperatur aber länger tief als bei herkömmlicher direkter Ladeluftkühlung, sagt Motorenentwickler Dr. Moritz Martiny. Deutlich schneller Alles schön und gut, aber wie fühlt sich das Ganze denn jetzt so in echt und mit Straße drunter an? Ziemlich schnell auf jeden Fall, so viel ist gewiss. Egal, ob 718 Boxster oder 718 Boxster S: Die Elastizität und der konstante Druck wirken weitaus gewaltiger als zuvor. Zahlen gefällig? Im Bestfall knallt der Boxster nun in 4,7 Sekunden von 0-100 km/h und in 17,8 Sekunden von 0-200 km/h. 0,8 beziehungsweise 3,1 Sekunden schneller als bisher. Der Boxster S braucht noch 4,2 respektive 14,7 Sekunden. Ein Plus von 0,6 und 2,6 Sekunden. So gut man das vom zweitbesten Platz aus eben erkennen kann, hängt der neue Vierzylinder-Turbo sehr ordentlich am Gas. Die Wucht in der Drehzahlmitte und die Gleichmäßigkeit der Kraftentfaltung wirken sehr beeindruckend, sprich, das tägliche Alltagsgebummel oder Autobahnfahrten werden in Zukunft wohl entspannter ausfallen. Oben raus (der 718 Boxster dreht 7.500 Touren) scheint dem Motor die Lust ebenfalls kaum flöten zu gehen, das funkelnde Drehzahl-Feuerwerk des alten Sechszylinder-Saugers sollten Sie über 6.500 U/min allerdings nicht erwarten. Klang? Anders! Ein wenig zwiespältig bin ich noch beim Thema Klang. Was dort, je nach Variante, aus einem oder zwei mittigen Endrohren entweicht, klingt so völlig anders, als man das vom alten B6-Sauger gewohnt war. Vor allem mit der optionalen Sport-Abgasanlage. Gar nicht mehr heiser, dafür sehr tief, sehr wuchtig, fast bedrohlich. Mit ordentlich viel Gespratze und Geknalle. Ein Kanal in den Innenraum verstärkt die Frequenzen des Vierzylinder-Turbos zusätzlich, was nicht künstlich ist, aber fast ein bisschen künstlich wirkt. Man kriegt beinahe das Gefühl, der 718 Boxster möchte sich mit mehr Klang-Krawall rechtfertigen, als eigentlich nötig wäre. In den höheren Drehzahlbereichen tönt er dafür deutlich austauschbarer, als man das bisher kannte. Aber am besten machen Sie sich selbst ein (Klang-)Bild und zwar mit dem angehängten Video.
Stärkere Varianten dürften folgen Letztlich hat Porsche den Boxster mit dem Wechsel auf Vierzylinder-Turbos einmal mehr deutlich schneller und ziemlich sicher auch ein wenig sparsamer gemacht. Kleine Einbußen in Sachen Charakter werden die meisten Kunden wohl verschmerzen. Wenn nicht, dann hilft vielleicht folgende Zahl: Der neue 718 Boxster S ist mit 7:42 Minuten auf der Nordschleife 16 Sekunden (ja, wirklich) schneller als der alte und kratzt an der Zeit des glorreichen Cayman GT4. Und sollte das immer noch nicht reichen: Motoren-Entwicklungschef Thomas Wasserbäch gab zu, dass dies erst der Anfang sei. Leistungsstärkere Varianten dürften also folgen. Wobei man sich für sehr spezielle Versionen auch die Sechszylinder-Sauger-Tür noch offen lässt. Die Preise für den neuen 718 Boxster starten bei 53.646 Euro. Der 718 Boxster S kostet mindestens 66.141 Euro. Das sind gut 2.700 beziehungsweise 3.700 Euro mehr als bisher. Der Marktstart für den gelifteten Boxster ist Ende April 2016.

Quelle: auto-news, 2016-02-23

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